Dabei und doch nicht mittendrin by Uslucan Haci-Halil
Autor:Uslucan, Haci-Halil [Uslucan, Haci-Halil]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-12T05:00:00+00:00
Chancen von Migration und Integration
Bikulturelle Identität als Entwicklungschance
Sowohl theoretische Annahmen als auch empirische Befunde legen nahe, dass Bikulturalismus weit mehr ist als nur eine additive Verknüpfung der Orientierungsfähigkeit in zwei unterschiedlichen kulturellen Systemen. Denn die zu vollbringende Syntheseleistung beider Kulturen fordert dem Einzelnen eine stärkere kognitive wie soziale Flexibilität ab.55 Eine balancierte Bikulturalität, ein sicheres Auftreten und Handlungsfähigkeit in unterschiedlichen kulturellen Kontexten sind als Zeichen dieser kognitiven Beweglichkeit zu werten, wie insbesondere amerikanische Studien zeigen.56 Mit Bikulturalität ist dabei gemeint, dass mindestens zwei kulturelle Einflüsse prägend für die Identität des Individuums sind, wobei dieser Einfluss nicht nur einer kurzen Phase, etwa einem touristischen oder vorübergehenden Gastaufenthalt, geschuldet ist, sondern einen wesentlichen Bestandteil der alltäglichen Lebenserfahrung darstellt.
Menschen mit einer sichtbar anderen kulturellen Herkunft werden im Alltag – etwa Kinder in der Schule – besonders häufig auf ihre Herkunft angesprochen, was ihr Bewusstsein für ethnisch-kulturelle Differenz schärft, ihnen eine kritische Distanz und ein reflexives Verhalten gegenüber Normen abringt und die Bildung einer reifen Identität forciert. Denn die stete Konfrontation mit ethnisch-kulturellen Differenzen bildet die Fähigkeit zur Rollendistanz, einen Aspekt gelingender Identität, stärker aus. Andererseits stellt die Begegnung mit einer anderen Kultur auch eine beständige Relativierung der eigenkulturellen Verhaltensstandards dar. Der bikulturell Sozialisierte, der einerseits Insiderwissen über beide Kulturen besitzt, andererseits die Skepsis der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Minderheiten am eigenen Leibe spürt, kann durch seine außergewöhnliche Position, quasi als Doppelagent, zu einem kompetenten Kritiker und Beobachter der eigenen wie der dominanten Kultur werden. Die Migrationssituation kann dazu führen, sowohl der Selbstherrlichkeit und Arroganz der Mehrheitskultur den Spiegel vorzuhalten, als auch unreflektierte Gewohnheiten und Bindungen der eigenkulturellen Sozialisation abzustreifen. Sie kann Anstoß geben für eine bewusste und individuelle Lebensgestaltung. Eine flexible Identität, so lässt sich das Paradoxon resümieren, ist Voraussetzung, um bikulturelle Erfahrung als Entwicklungschance zu nutzen; aber ebenso sehr ist sie ein Folgeprodukt gelingender Integration. Denn diese Identität setzt eine ausreichende Ich-Stärke voraus, die es erlaubt, ohne Angst vor Selbstverlust und Überwältigung durch Schuldgefühle (wie etwa Verrat an der alten Heimat und an elterlichen Werten) das Neue anzunehmen, sich den gewandelten Anforderungen zu stellen und in einem offenen Dialog mit der Herkunfts- und der neuen Kultur zu stehen.57
Migranten sind in ihrem Alltag häufiger als Einheimische mit Situationen konfrontiert, in denen Ambiguitätstoleranz gefordert ist, also die Fähigkeit, Mehrdeutigkeit und Widersprüchlichkeit in ein und demselben Ereignis oder Merkmal nicht nur wahrzunehmen, sondern sie auch auszuhalten. Das sind vor allem Unvereinbarkeiten der verschiedenen kulturellen Ziele und Anforderungen, so zum Beispiel einerseits der Verwandtschaft zu helfen und andererseits für das eigene Vorankommen zu sorgen, etwa jetzt für die Klausur zu lernen. Insofern kann auch diese Erhöhung der Ambiguitätstoleranz als eine Ressource der Bikulturalität betrachtet werden, weil Subjekte dadurch bemächtigt werden, »in vielen Traditionen zu Hause« zu sein und ein flexibles Selbst zu entwickeln, das genau diesen unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden kann.
Der gegenwärtige Diskurs ist auf die Alltagsplausibilität westlicher Konzepte zugespitzt, die ein individualistisches, auf internale Kontrolle ausgelegtes Selbstverständnis als die einzige Form psychisch gesunder und reifer Persönlichkeit betrachten. Dies stellt aber eine ungerechtfertigte Verallgemeinerung dar, übersieht sie doch,
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