Da geht einer by Susanne Bienwald

Da geht einer by Susanne Bienwald

Autor:Susanne Bienwald [Bienwald, Susanne]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Geschichte, Deutschland, Roman, Reise
ISBN: 9781482351026
Google: OWoamAEACAAJ
Herausgeber: S. Bienwald
veröffentlicht: 2013-02-16T23:00:00+00:00


Kurz nach Dingelstedt musste ein flacher Stein in den linken Stiefel gerutscht sein, bei jedem Schritt drückte er auf den Ballen der Fußsohle. Lange konnte er sich nicht dazu entschließen, den Stein zu entfernen, er empfand den Druck als angenehm kühlend und war sich nicht sicher, ob er seinen geschwollenen Fuß in den einmal ausgezogenen Stiefel wieder hineingezwängt bekommen würde. In den letzten Tagen war ihm dies morgens nur unter Schmerzen gelungen, sodass er schon überlegt hatte, die Stiefel im Bett anzubehalten.

Der Strumpf starrte vor Schmutz und hatte ein schlammverkrustetes Loch auf der Unterseite. Verständnislos blickte er auf seinen schwarzen Fuß, dann langte er in den Stiefel, um den Stein herauszuholen. Erst als sein Zeigefinger, ohne auf Widerstand zu stoßen, durch die Stiefelsohle hindurchging und auf der anderen Seite herausstach, begriff er, dass er den Stiefel durchgelaufen hatte. Auch das zweite Paar Strümpfe würde bald durchgelaufen sein, und wenn er den Fuß mit einem dicken Lappen umwickelte, würde er nicht mehr in den Stiefel passen.

Im Ranzen gab es kein geeignetes Stück Stoff, das er über den frischen Strumpf ziehen konnte, allein Josephas Seidentuch kam für einen Verband infrage. Aber durfte er das Tuch dem Straßenschmutz aussetzen, wenn er es in den nächsten Nächten brauchen würde wie nie zuvor? Er war kurz davor, umzukehren und das Angebot des Apothekers nachträglich anzunehmen, nur der Gedanke daran, sich dann den ganzen Abend über sein Scheitern unterhalten zu müssen, hielt ihn davon ab.

Schließlich zog er das Seidentuch aus der Innentasche seines Rocks und fuhr über den kühlen, glatten Stoff. Es würde seinem geschundenen Fuß wohl tun, und wenn Josepha jetzt bei ihm wäre, würde sie ihn mit eigener Hand verbinden.

„Nun humpeln wir also beide“, sagte er zu Hänschen, als er im Weitergehen den linken Fuß vorsichtig belastete und sich bei jedem zweiten Schritt auf den Stock stützten musste. So gebeugt dahinzuschleichen, erschien ihm wie eine zusätzliche Demütigung, sicher gab er ein jammervolles Bild ab. Sollte er so in Hamburg einziehen?

„Wie weit ist es noch bis Heiligenstadt?“, fragte er zwei Handwerksburschen, die an ihm vorbeischlenderten.

„Wir wollen in zwei Stunden da sein, Sie werden wohl drei brauchen.“

Nach einer ganzen Weile überholte ihn ein Bauernwagen. „Steigen Sie auf“, rief der Fuhrmann, „ich nehme Sie ein Stück mit.“

Die Erinnerung an die Fahrt auf dem elenden Karren war noch zu frisch. „Danke, es lohnt nicht, ich bin gleich am Ziel“, er deutete mit dem Stock auf ein paar nahe liegende Häuser. Dann humpelte er weiter.

„Wie weit ist es noch bis Heiligenstadt?“, rief er dem nächsten Entgegenkommenden zu.

„Gut zwei Stunden.“

„Aber vor langer Zeit habe ich die gleiche Auskunft erhalten.“

„Davon weiß ich nichts, bis Heiligenstadt sind es gut zwei Stunden“

„Ich kann nicht mehr.“ Er beugte sich zu Hänschen hinunter, strich ihm über die Ohren und klopfte ihm das schmutzige Fell. „Seit Tagen begleitest du mich auf wund gelaufenen Pfoten und nimmst nicht übel, dass ich dir keine Pause gönne. Und ich beklage mich nach wenigen Stunden. Eine kleine Rast wird uns gut tun, bis Heiligenstadt wird es nicht mehr weit sein, was für ein Name für diesen verfluchten Ort.



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