Cox oder Der Lauf der Zeit . Roman by Christoph Ransmayr

Cox oder Der Lauf der Zeit . Roman by Christoph Ransmayr

Autor:Christoph Ransmayr [Ransmayr, Christoph]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104025575
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Auf die Knie, flüsterte Kiang, der selber bereits auf die Knie gesunken war und mit schweißnasser Stirn den Boden berührte. Aber die englischen Gäste schienen ihn nicht zu hören, waren wie erstarrt, gebannt von der Pracht, die sie umgab.

Qiánlóng trug eine mit Drachenklauen und azurblauen Wolkenbändern bestickte, aus Purpurseide und Goldfäden gewebte Robe und lachte bei jedem Wort, das ihm von einer der Frauen an seiner Seite, vielleicht als Teil eines Wortspiels oder eines Rätsels, zugerufen wurde. Auch die kaum weniger kostbar gekleideten Hofdamen lachten so unbeschwert, als begleiteten sie nicht den Kaiser von China, sondern einen Geliebten, einen Freund, ja einen Bruder, einen heiteren, bestens gelaunten Mann jedenfalls, vor dem sich vielleicht irgendein gesichtsloser, ferner Feind, aber kein Wesen in seiner Nähe fürchten mußte.

Die Gardisten warteten draußen in der Sonne, hatten ihren Ring aber so eng um das Haus gezogen, daß sie dem Herrn der zehntausend Jahre wohl innerhalb eines einzigen Atemzuges hätten beistehen können.

Qiánlóng hatte die Unterkunft des englischen Meisters tatsächlich ohne Leibgarde betreten, lachend, und begleitet nur von fünf seiner mehr als dreitausend Konkubinen, deren Lebensaufgabe darin bestand, ihre Schönheit als kostbarsten Besitz zu pflegen, um dem lachenden Mann gemeinsam mit seinen einundvierzig Ehefrauen die Verbotene Stadt für Stunden oder ganze Nächte in ein irdisches Paradies zu verwandeln.

Wie klein der Allergrößte war. Er, der doch selbst Riesen überragen mußte, war kaum einen Kopf größer als seine Frauen und trat nun auf den knienden, schwitzenden Kiang zu und befahl ihm in einem Tonfall, der am Ende wieder in ein Lachen überfloß, dem englischen Meister jenes Wort zu übersetzen, das im Kreis der Konkubinen gerade von Mund zu Mund ging: Das Spiel bestand offensichtlich darin, innerhalb kürzester Zeit eine größtmögliche Zahl von Reimen auf ein Wort, einen Namen oder Begriff zu finden, den der Kaiser der lachenden Runde vorwarf.

Kiang war der einzige im Raum, der kniete. Cox, Merlin, Bradshaw, Lockwood, alle saßen in ihrer Überraschung wie festgeschraubt an ihrer Werkbank, als könnten sie nicht fassen, daß es tatsächlich dem Gesetz entsprechen sollte, vor einem lachenden, mit Wortspielen beschäftigten Mann auf die Knie zu sinken und mit der Stirn den Boden zu berühren: Waren denn Heiterkeit und tiefste Ehrfurcht nicht so grundverschieden, daß es ein fataler Fehler sein mußte, diese beiden Haltungen zusammenzuführen, ein Fehler ebenso verhängnisvoll falsch, wie etwa einen Brand mit Öl oder einer Kelle voll Quecksilber löschen zu wollen.

Wenn der Herr der Welt lachte, mußten dann nicht ganze Erdteile in sein Lachen einfallen, gleichgültig, ob auf Knien oder hochaufgerichtet und aus vollen Lungen? Aber vielleicht war es auch eine unverzeihliche Beleidigung des Erhabenen, ohne seine Erlaubnis auch nur zu lächeln. Kein Mandarin, kein Zeremonienmeister gab Rat, und Kiang kniete schweißüberströmt und stumm vor dem Kaiser und seinen Geliebten.

Auch die Frauen wandten sich jetzt dem Übersetzer zu, als wäre nun er an der Reihe, ein neues Wort in ihr Spiel zu bringen. Kiang wagte nicht, einen der Blicke, die er wie einen Glutregen auf seiner Haut spürte, zu erwidern. Und dann, endlich, sprach er das Wort aus, das



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