Copy by Brin David
Autor:Brin, David [David, Brin,]
Format: epub
veröffentlicht: 2010-09-13T11:41:23.593000+00:00
EIN CHINA-SYNDROM
… ALS DER KLEINE ROTE WEITAUS MEHR ERFÄHRT, ALS ER WISSEN MÖCHTE…
Yosil Maharal – beziehungsweise sein Geist – scheint sehr stolz auf seine private Sammlung zu sein: beginnend mit einem einzigartigen Schatz aus Keilschrifttafeln und Zylindersiegeln aus dem alten Mesopotamien, jenem geheimnisvollen Land, in dem die Schrift vor mehr als viertausend Jahren entstand.
»Dies war die erste Form von Magie, die auf eine zuverlässige, wiederholbare Weise funktionierte«, sagte Maharal und hob ein Objekt, das wie ein Gebäckstück aussah und flache, sich überlappende Kerben aufwies. »Endlich konnte jeder eine Art Unsterblichkeit erreichen, indem er lernte, eigene Worte, Gedanken und Geschichten aufzuzeichnen, mit Abdrücken in feuchtem Ton. Die Unsterblichkeit, über Zeit und Raum hinweg zu sprechen, selbst dann noch, wenn der ursprüngliche Körper längst zu Staub zerfallen ist.«
Ich mag kein Genie sein, aber ich begriff, was er meinte. Denn er war eine solche Manifestation von Kontinuität über den Tod hinaus. Ein komplexes Muster von Seelenabdrücken in Ton, das sprach, nachdem der reale Yosil Maharal in der Wüste von einem Viadukt in den Tod gestürzt war. Kein Wunder, dass er sich in der Umgebung der kleinen Tafeln wohl fühlte.
Zu Maharals privater Sammlung gehören auch Beispiele alter Töpferei, darunter mehrere große Amphoren – diese Behälter hatten Wein enthalten an Bord einer römischen Bireme, die vor zweitausend Jahren gesunken und erst kürzlich von Forschungs-Dits auf dem Grund des Mittelmeers entdeckt worden war. Daneben, in einem Schaukasten, lagen mehrere blaue Porzellanteller, einst im Bauch eines Klippers um das Horn von Afrika gebracht und für den Tisch eines reichen Kaufmanns bestimmt.
Noch mehr am Herzen lagen Maharal einige faustgroße menschliche Bildnisse aus einer prähistorischen Epoche. Aus einer Zeit, als unsere Vorfahren in Jäger-und-Sammler-Stämmen umhergezogen waren. Liebevoll zeigte mir Yosils grauer Golem nacheinander mehr als zehn dieser »Venus«-Figuren, geformt aus neolithischem Flussschlamm. Sie alle präsentierten große Brüste, breite Hüften und Beine oben mit dicken Schenkeln und unten mit kleinen Füßen. Er machte keinen Hehl aus seinem Stolz, als er mir erzählte, wo man die kleinen Statuen gefunden hatte und wie alt sie waren. Klare Gesichter fehlten, und dadurch wirkten die meisten von ihnen rätselhaft. Anonym. Geheimnisvoll. Und sehr weiblich.
»Im späten zwanzigsten Jahrhundert entstand ein postmoderner Kult um diese Bildnisse«, dozierte Maharal, zog an der Kette, die er mir um den Hals geschlungen hatte, und führte mich von einer Vitrine zur nächsten.
»Von diesen kleinen Skulpturen inspiriert entwickelten einige hyperfeministische Mystikerinnen die Theorie, dass eine Mutter-Erde-Religion allen anderen spirituellen Glaubenssystemen auf unserem Planeten vorausgegangen war. In diesem allgegenwärtigen neolithischen Kult wurde ganz offensichtlich eine Göttin verehrt, deren wichtigste Merkmale aus Fruchtbarkeit und mütterlicher Güte bestanden! Bis die sanfte Gaia von den gewalttätigen Banden aus Jehova-Zeus-Schiwa-Machos vertrieben wurde, die mit einer plötzlichen Welle neuer Technologien auftraten: Metallurgie, Landwirtschaft, Lesen und Schreiben. Die ruhige alte Lebensweise wurde praktisch von einem Augenblick zum anderen über den Haufen geworfen und Gaia von ihrem göttlichen Thron gestoßen.
Woraus folgt: Alle Verbrechen und Katastrophen der uns bekannten Geschichte gehen auf jene tragische Umwälzung zurück.«
Maharals Geist lachte leise und drehte eine der Venus-Figuren liebevoll hin und her. »Oh, die Göttinnentheorie war fabelhaft und kreativ.
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