Christopher Isherwood by Leb wohl Berlin

Christopher Isherwood by Leb wohl Berlin

Autor:Leb wohl, Berlin [Berlin, Leb wohl]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-09-28T22:00:00+00:00


Der erste Abend, den ich als Mieter bei den Nowaks verbrachte, wurde festlich begangen. Als ich kurz nach fünf Uhr mit meinen zwei Handkoffern eintraf, kochte Frau Nowak schon das Abendessen. Otto flüsterte mir zu, als besonderes Festmahl gebe es Lungenhaschee.

»Ich fürchte, unser Essen wird Ihnen nicht besonders schmecken nach dem, was Sie gewöhnt sind«, meinte Frau Nowak. »Aber wir werden uns Mühe geben.« Sie lächelte übers ganze Gesicht und sprudelte vor Aufregung. Auch ich lächelte und lächelte und kam mir selbst ungeschickt und lästig vor. Schließlich kletterte ich über die Möbel im Wohnzimmer und setzte mich auf mein Bett. Nirgends war Platz, meine Garderobe unterzubringen. Am Wohnzimmertisch spielte Grete mit ihren Zigarettenschecks und Abziehbildern: ein plumpes, zwölfjähriges Kind, süßlich-hübsch, aber mit krummem Rücken und ziemlich dick. In meiner Anwesenheit spielte sie sich gern auf. Sie rutschte hin und her, lächelte geziert und rief immer wieder mit affektierter, singender »Erwachsenen«-Stimme:

»Mami! Sieh doch mal die süßen Blumen!«

»Hab’ keine Zeit für deine süßen Blumen«, rief Frau Nowak schließlich ganz verärgert. »Da hab’ ich nun ’ne Tochter so groß wie ’n Elefant und kann das ganze Abendbrot alleine machen!«

»Ganz richtig, Mutter!« stimmte Otto bereitwillig zu. Er wandte sich in ehrlicher Entrüstung an Grete: »Ich möcht’ wirklich wissen, warum du nicht hilfst! Bist doch fett genug! Sitzt den ganzen Tag nur rum und tust nichts. Steh’ jetzt gleich auf, verstanden? Und tu diese dreckigen Bilder weg, oder ich schmeiß’ sie ins Feuer!«

Er grabschte mit einer Hand nach den Bildern und gab mit der andern Grete eine Ohrfeige. Grete, der es offensichtlich gar nicht weh getan hatte, brach sofort in lautes, theatralisches Heulen aus: »Oh, Otto, du hast mir weh getan!« Sie schlug die Hände vors Gesicht und blinzelte mir zwischen den Fingern zu.

»Wirst du das Kind wohl in Ruhe lassen!« keifte Frau Nowak aus der Küche. »Was bist denn du für einer, daß du von Faulheit redest! Und du, Grete, hör sofort auf zu heulen – oder ich sag’ Otto, daß er dir richtig eine knallt, damit du was zu flennen hast. Ihr zwei macht mich noch ganz verrückt …«

»Aber Mutter!« Otto lief in die Küche, faßte sie um die Hüfte und fing an, sie abzuküssen. »Arme, kleine Mami, kleine kleine Mutti, ach, mein kleines Muttchen«, flötete er in widerlich besorgtem Ton. »Mußt so schwer arbeiten,

und der Otto ist so gemein zu dir. Aber er meint’s ja nicht so, das weißt du doch, er ist bloß doof. Soll ich dir morgen Kohlen raufholen, Mami? Ja?«

»Laß mich los, du alter Angeber!« wehrte Frau Nowak sich lachend. »Geh mir mit deinem Süßholzraspeln! Was bekümmert dich schon deine arme alte Mutter! Laß mich jetzt in Ruhe arbeiten!«

»Otto ist kein schlechter Junge«, fuhr sie zu mir gewandt fort, als er sie endlich losgelassen hatte. »Er ist nur so ein Wirrkopf. Ganz das Gegenteil von meinem Lothar – der ist Ihnen vielleicht ein Mustersöhnchen! Für keine Arbeit zu stolz, und wenn er ein paar Sechser zusammengekratzt hat, statt sie für sich auszugeben – nein, da kommt er gleich zu mir und sagt: »Hier, Mutter.



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