Christian Wahnschaffe by Wassermann Jakob

Christian Wahnschaffe by Wassermann Jakob

Autor:Wassermann, Jakob
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T00:00:00+00:00


7

Auf den roten Samtsofas des Restaurants lagen Tote und Verwundete. Man hatte sie in Eile hereingeschafft, Leute waren um sie bemüht. Durch offene Türen wehte eisige Luft, untermischt mit Schnee. Auf der Straße krachten noch vereinzelte Schüsse, Reiter galoppierten vorüber, eine Militärpatrouille tauchte auf und verschwand. Gäste standen in Gruppen an den Fenstern; ein deutscher Kellner sagte: »An der Newa hat man Kanonen auffahren lassen.« Ein Herr im Pelz trat hastig ein und rief, Kronstadt stehe in Flammen.

In einem der Säle, die den Veranstaltungen geschlossener Zirkel dienten, befand sich eine glänzende Gesellschaft, vom General Tutschkoff geladen, einem der Freunde des Großfürsten Cyrill. Es waren da: Lord und Lady Elmster, der Carl von Somerset, Graf und Gräfin Finkenrode, Herren von der deutschen und der österreichischen Botschaft, der Marquis du Caille, die Fürsten Tolstoi, Trubetzkoi, Szilaghin mit ihren Damen.

Der Großfürst und Eva Sorel waren spät gekommen. Das Diner war zu Ende, die gemeinsame Unterhaltung hatte aufgehört; es flüsterten nur Paare miteinander, der Großfürst, zwischen Lady Elmster und der Fürstin Trubetzkoi sitzend, schlief. Dies pflegte sich, auch im angeregten Kreise, häufig zu ereignen. Man wußte es und hatte sich daran gewöhnt.

Er schlief, steif und ohne Lässigkeit zurückgelehnt. Die Lider zuckten von Zeit zu Zeit, die Falte auf der Stirn war durch ihre Tiefe schwarz, der farblose Bart sah aus wie Farren an Baumrinde. Der Argwohn lag nahe, er stelle sich schlafend, um ungestört lauschen zu können; dem widersprach eine Entblößung in den Zügen, die von der Willensaufhebung des Schlummers herrührte und dem Gesicht einen lemurischen Ausdruck verlieh.

An seiner überlangen, hagern Hand, die auf dem Tischtuch ruhte und bisweilen zuckte wie die Lider, funkelte ein haselnußgroßer Solitär.

Der Versammelten hatte sich Unruhe bemächtigt. Beim Knattern einer Gewehrsalve erhob sich die junge Gräfin Finkenrode und blickte bestürzt nach der Tür. Szilaghin trat zu ihr; lächelnd beschwichtigte er sie.

Ein Offizier der Garde erschien und flüsterte Tutschkoff eine Meldung zu.

Eva und Wiguniewski saßen abseits vor einem hohen Wandspiegel, der die Gestalten beider und einen Teil des Raums fahl wiederholte.

Wiguniewski sagte: »Leider sind die Nachrichten verbürgt. Niemand konnte darauf gefaßt sein.«

»Es wurde mir mitgeteilt, er halte sich in Petersburg auf,« antwortete Eva. »In einer deutschen Zeitung las ich sogar, er sei in Moskau verhaftet worden. Übrigens, wo sind Ihre Beweise? Einen Iwan Becker auf bloßes Hörensagen zu verdammen, das wäre ebensolche Felonie als die ist, deren Sie ihn bezichtigen.«

Wiguniewski zog einen Brief aus der Tasche, sah sich vorsichtig um, entfaltete ihn und sagte: »Dies schreibt er aus Nizza an einen Freund, der auch mein Freund ist. Ich glaube, danach ist kein Zweifel mehr erlaubt.« Er übersetzte, während er leise vorlas, die russischen Worte, vielfach stockend, ins Französische: »Ich bin nicht mehr, der ich war. Eure Vermutungen sind nicht unbegründet, die Gerüchte haben nicht gelogen. Verkünde und bestätige du es allen, die ihre Erwartung auf mich gesetzt, ihr Vertrauen zu mir an bestimmte Bedingungen geknüpft haben. Es liegt eine furchtbare Zeit hinter mir. Ich konnte nicht mehr weiter auf dem Weg, auf dem ich ging. Ihr habt euch in mir getäuscht, mich hat ein Wahnbild getäuscht.



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