Chlorofilija by Rubanov Andrej

Chlorofilija by Rubanov Andrej

Autor:Rubanov, Andrej
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


4

»Wozu brauchst du mich?«, fragte Ilona unter Stöhnen. »Ich bin ein Mädchen aus der Einundzwanzigsten. Ich habe niemandem etwas getan. Und das werde ich auch nicht. Ich weiß nichts. Und ich habe nichts gesehen. Während du immer an deine Arbeit denkst … und an andere Dinge … Du bist ernst und reich …«

»… ein Menschenfresser«, sagte Saweli ihr vor.

»Ja. Ein Menschenfresser. Und Menschenfresser haben mit Grasfressern nichts am Hut.«

»Ich habe auch nichts mit dir am Hut. Ich schlafe mit dir. Und das am Tag. Außerdem bin ich kein echter Menschenfresser.«

»Das seid ihr alle nicht«, sagte Ilona gedehnt.

»Was meinst du mit ›alle‹?«

»Na ja … Du bist ja nicht mein Einziger.«

»Ja«, murmelte Herz. »Fremdbestäubung.«

»Was?«

»Nichts. Ich hoffe, es gibt nicht allzu viele von uns.«

Ilona öffnete die Augen, hielt sich eine Hand vors Gesicht und begann Finger um Finger abzuknicken. Als sich alle fünf zur Faust schlossen, fühlte Saweli sich langsam unwohl.

»Hör auf.«

»Du hast damit angefangen.«

»Aber wozu brauchst du so viele?«

Das Mädchen lächelte.

»Du Dummkopf. Viel ist eben viel. Viel ist gut. Besser als wenig. Und wenig ist schlecht. Kapiert? Außerdem sagt man doch, dass Menschenfresser klug sind …« Sie schloss die Augen. »Ja, so, genau. Langsamer. Ja, du bist ein guter Menschenfresser. Nur dumm. Wahrscheinlich trinkst du zu wenig Wasser. Geht es dir gut?«

»Sehr gut.«

»Dann beantworte meine Frage.«

»Ich habe sie vergessen.«

»Wozu brauchst du mich?«

»Ich sag es dir hinterher.«

»Nein, jetzt.«

Saweli fing an zu überlegen, was er antworten sollte. Er wollte nicht denken.

Das war genau der Grund, warum er herkam. Um nicht zu denken. Hier verlangte niemand etwas von ihm. Hier galt Denken als dumm.

Ilonas Wohnung war billig, dünne Wände, durch die er hörte, wie in der Nachbarwohnung jemand Mundharmonika spielte.

Ilona war großartig, von einer absolut pflanzlichen Großartigkeit. An ihrer Seite (je näher, desto besser) spürte er Entzücken und Wohligkeit. In ihrer Welt fehlten Ideen als solche, und wenn sie sich über ihn beugte, oder er sich über sie, konnte er hören, wie ihre einfachen Gedanken in ihrem Kopf knisterten, einer oder eineinhalb. Obwohl jeder Gedanke in der Regel sofort ausgesprochen wurde.

Entzücken und Wohligkeit – ja. Alles war einfach und sicher miteinander verbunden. Wozu irgendwohin gehen, wenn man es auch lassen konnte? Wozu schlafen gehen, wenn man keine Lust dazu hatte? Wozu den Fernseher ausschalten, sollte er doch laufen, oder tat er etwa jemandem leid?

Es gab keine Halbtöne, keine Ausnahmen von Regeln, keine Zweifel, nichts Unausgesprochenes oder Zweideutiges. Es gab keine Wörter mit mehr als vier Silben. Wenn Saweli mit Ilona über Unausgesprochenes oder Zweideutigkeiten hätte reden wollen, sie hätte ihn einfach nicht verstanden.

Ehe er sich ihre Sprechweise – überwiegend ein- bis zweisilbige Worte – angeeignet hatte: gut, schlecht, nett, angenehm, blöd, hatte er hin und wieder ihren hilflos spöttischen Blick aufgefangen.

Wenn Ilona ihn nicht verstand, nannte sie ihn umgehend einen Dummkopf. Und Saweli gab ihr genüsslich recht. Ja, er war ein Dummkopf. Bei ihm war alles kompliziert, lang, verschlungen, und bei ihr alles kurz und auf den Punkt. Wer von ihnen war der Dummkopf?

Dafür hatte er erfahren, dass nur das ganz Primitive wirklich sexuell erregend war.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.