Cheng by Heinrich Steinfest
Autor:Heinrich Steinfest [Steinfest, Heinrich]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-02-22T00:00:00+00:00
Frau Hammerschmid saà im Gasthof eines Heurigen und genoà ihren WeiÃen Spritzer und den Umstand, daà sie um diese Zeit, früher Nachmittag, der einzige Gast war. Sie hatte beinahe vergessen, wie angenehm das war, einmal nicht den Mund offen zu haben und einmal nicht so zu tun, als würde man zuhören.
Es war nicht mehr ganz so heià wie an den Tagen zuvor, was kein Nachteil war, wenn man in einem engen Dinnerkleid steckte und einen Nachmittag mit Händeschütteln, Konversation und vielleicht Schlimmerem vor sich hatte. Ebensowenig ein Nachteil war, daà Erich, ihr Poet, zu irgendeinem Schriftstellerkongreà gefahren war. Sie wollte nicht, daà Erich mit Cheng bekannt wurde, seinem einstigen Beschatter.
Man traut es gewissen Menschen einfach nicht zu: daà sie genauso schwindelerregend schick und abgeschleckt wirken können wie die zornigen, jungen Opportunisten in den Hochglanzmagazinen. Weshalb die Hammerschmid nicht glauben konnte, was sie da auf sich zukommen sah. Cheng machte, gelinde gesagt, einen formidablen Eindruck in seinem silbergrauen Anzug, der seine schlanke Asiatenfigur besser betonte als die übergroÃen Baumfällerhemden und verwaschenen Pyjamahosen, die er üblicherweise trug. Der aufgesteckte Ãrmel â dort, wo ein Arm war, der keinen Ãrmel mehr nötig hatte â verlieh Cheng eine heroische Note, so als hätte er diesen Arm im Kampf gegen einen Kommunismus verloren, dessen gröÃtes Verbrechen minderwertiger Anzugstoff gewesen war. Die Sonnenbrille in seinem unregelmäÃigen (nun auf eine interessante Weise unregelmäÃigen) Gesicht erinnerte an die brutale Eleganz einer Serra-Plastik aus Corten-Stahlplatten. Ãberhaupt: Der ganze Cheng wirkte wie eine Skulptur Serras, kompakt, auf eine schlanke Weise wuchtig, auf eine simple Weise kompliziert, mondän, arrogant, elitär.
»Sie sehen ja groÃartig aus.«
»Ich sehe widerlich aus.«
Natürlich sah er widerlich aus, das war es ja, was ihn so attraktiv machte; das ist es ja immer, was uns an Menschen so attraktiv erscheint, das Widerliche ihrer Art und ihrer Kleidung, das Widerliche ihrer gekünstelten Bewegungen, ihrer B-Movie-Fratzen, ihr widerliches SelbstbewuÃtsein auf Kreditkarten- oder Kunsthallenniveau, ihr unentwegter Hinweis darauf, daà sie hier sind und daà es lange nicht so aufregend und amüsant wäre, wären sie nicht hier. Weil sie es sind, die der ganzen Veranstaltung erst Klasse verleihen.
Cheng fand sich indiskutabel, aber er fand auch, daà er überraschend gut aussah in diesem Anzug zwischen Gaunertum und Avantgarde.
»Sie sollten sich immer so kleiden«, fand die Hammerschmid, »Sie würden viel interessantere Fälle bekommen.«
»Interessantere als kleine Buchhalter beschatten?«
»Zum Beispiel.«
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