Burnside, John by ueber meinen Vater Luegen

Burnside, John by ueber meinen Vater Luegen

Autor:ueber meinen Vater Luegen
Die sprache: de
Format: mobi
veröffentlicht: 2012-04-21T15:59:04+00:00


6

Heute ist der Schwimmbagger da. Er kommt jeden Winter mit seinen silbrigen, kirschroten Lichtern, die viel zu hell für unseren kleinen Hafen sind, um mit großer Schaufel den Schlick und Müll aufzuwühlen, der sich in den letzten zwölf Monaten abgesetzt hat. Mein Sohn geht gern ans Wasser, um zuzusehen; ihm gefällt die stete Arbeit des Schiffs in dieser stillen Jahreszeit. Ehrlich gesagt, ich sehe auch gern zu. An manchen Abenden suche ich einen Vorwand, um zum Hafen zu gehen und die Männer bei ihrer Arbeit zu beobachten. Sie kommen mir realer vor, wenn sie hier sind, eins mit etwas Intimem, Physischem, obwohl sie zugleich abstrakt wirken. Sie scheinen echter zu sein, konturierter als im Pub, abwesend von sich selbst, im Besitz von Fähigkeiten, die ihnen tief in Muskeln und Nerven eingeschrieben sind. Arbeit macht frei. Warum nicht? Wenn sich an manchen Winternachmittagen die Dämmerung herabsenkt, wird der Hafen zu einem Theater der Lichter und Geräusche, die alle demselben Zweck dienen, der befriedigenden, unablässigen Arbeit der Instandhaltung, dem Schaffen von Ordnung.

Andernorts versagt diese Ordnung. Oben in der Stadt brettern sie schon in ihren aufgemotzten Autos über die schmalen Straßen, pickelgesichtige Jungs, die in einer Wolke aus Kohlenstaub und Gangstarap durch halbdunkle Gassen rasen, hinter den Windschutzscheiben unwirkliche, glänzend weiße Gesichter und Iltisaugen, nichts als Selbstüberschätzung und brodelnde Minderwertigkeitsgefühle. Wenn es im Winter früh dunkel wird, treiben sie sich vor den Schulen herum, auf die sie bis vor Kurzem noch selbst gegangen sind, vaterlose Kinder, die nur darauf warten, dass jemand sie wahrnimmt: das hübsche Mädchen etwa, das ihr großspuriges Getue noch nie beeindruckt hat; der Lehrer, der eine Zeit lang versucht hat, zu ihnen durchzudringen, um dann aufzugeben und sich hoffnungsvolleren Fällen zuzuwenden; Jungen der Klasse, die sie gerade hinter sich gebracht haben; Jungen wie sie, die gern einen Moment stehen bleiben und die aufgemotzten Karren bewundern, Spritschleudern, deren Motoren sie auf dem Parkplatz gegenüber der Schule aufheulen lassen. Ich sehe sie ständig, wie sie mit wummernden Musikanlagen über die Uferstraße brausen, zu blöd, um zu wissen, wie blöd sie aussehen. In gewisser Weise tun sie mir leid, doch bleibt mir nichts anderes übrig, als das zu tun, was jedermann tut: sie ignorieren. Wir alle ignorieren sie.

Als ich noch ein Kind war, fragten mich die Leute oft, was ich denn werden wolle, wenn ich einmal groß sei. Das fragten nicht nur Lehrer oder kaum gekannte Onkel auf Hochzeiten oder Beerdigungen, jeder wollte es wissen, ob nun der Fischhändler oder unser Nachbar, Herr Black, dessen Kinder bereits verheiratet und fortgezogen waren. Jeder wollte es wissen, obwohl es eigentlich niemanden interessierte. Es war eben etwas, was man einen Jungen fragte, der noch zur Schule ging, eine dieser Fragen, die mit »und« anfangen.

»Und was willst du einmal werden, wenn du groß bist?«

Ich wartete schon darauf, bereit, die Scheu eines Kindes zu heucheln, das für einen Augenblick von einem erwachsenen Fremden ernst genommen wird, und ließ mir einen Moment Zeit für die Antwort, als läge es in meiner Macht, solche Dinge zu entscheiden. Meist sagte ich, was die Leute hören wollten: Ingenieur, Lehrer, Düsenjägerpilot oder Lokführer.



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