Buch aus Stein by Matthias Falke

Buch aus Stein by Matthias Falke

Autor:Matthias Falke [Falke, Matthias]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783944729503
Herausgeber: Amrûn Verlag
veröffentlicht: 2014-10-31T23:00:00+00:00


Es war bereits die Zeit des Z’En, wenn Hél sich in seinem eigenen Glanz verbirgt. Allerdings war er hier nicht zu sehen. Ein kalter feuchter Rauch hing immer um die steinernen Zelte, über denen es keinen Himmel gab. Manchmal war der nasse Rauch so dicht, dass man nicht von einem dieser Zelte zum anderen sehen konnte. Deshalb gab es die befestigten Wege, die zwischen ihnen entlang führten. Der Sommer neigte sich seinem Ende zu. Wenn ich zurückkehren wollte, hätte ich nun aufbrechen müssen. Dabei hatte ich noch so wenig erfahren. Ich gewöhnte mich an die sonderbaren langen Kleider und übte mich im Entziffern der alten Schriften. Außer den Mahlzeiten, die alle Männer von Ma’Rá gemeinsam in einem großen Raum einnahmen und bei denen nicht gesprochen werden durfte, verbrachte ich die ganze Zeit mit den Schriftrollen. Ut’Schtím zeigte mir Aufzeichnungen, in denen die Längen der Sommer erfasst waren. Zu Beginn der Aufzeichnungen waren die Sommer länger als die Winter gewesen. Man verwendete kleine mit Sand gefüllte Röhrchen, um die Zeit zu messen, und in den ältesten Urkunden war die Dauer des Sommers mit einhundertundzwanzig Röhrchen, die der Winter mit achtzig angegeben. Ich blätterte in den Rollen. Manche waren fast unlesbar. Andere zerfielen mir zwischen den Händen zu Staub. Auch gab es Lücken oder wechselnde Methoden der Aufzeichnung. Die Beobachtung von Sommer und Winter unterstand dem jeweiligen Leiter von Ma’Rá persönlich, und da man dieses Amt erst in hohen Jahren übertragen bekam, hatte selten ein und derselbe Mann länger als acht oder zehn Sommer die Aufsicht über die Messungen inne. Ut’Schtím leitete sie seit zwölf Jahren. Die Art, wie die Zahlen angeordnet waren, änderte sich oft. Dann war man wieder zu einer anderen Art von Röhrchen übergegangen, die andere Verhältnisse ergaben. Ut’Schtím teilte mir einen Schreiber zu, der die Kolonnen mit mir durcharbeitete und sie in neue Schriftrollen übertrug, wobei er sie in einheitliche Zahlen umrechnete. Es war eine sehr mühsame Arbeit, und obwohl ich nicht mehr an den Mahlzeiten teilnahm und mir keine Erholung gönnte, verging der Sommer über ihr. Ein blasses Rot schien durch den ewigen Rauch; in der Steppe beging man N’Adír. Als wir die Aufzeichnungen gesammelt und übertragen hatten, sah ich mir gemeinsam mit Ut’Schtím das Ergebnis an. Die Sommer wurden kürzer, die Winter länger. Ihr ursprüngliches Verhältnis hatte sich umgekehrt. Die Winter waren nur um die Hälfte länger als die Zeit zwischen Aur’Rá und N’Adír. Die Dunkelheit dauerte über einhundertundzwanzig Röhrchen. Sie wurde mit jedem Jahr länger. Und die Zunahme der Dunkelheit schien sich zu beschleunigen. Hatten sich Sommer und Winter anfangs nur um ein oder zwei Röhrchen pro Jahr gegeneinander verschoben, war nun ein Anwachsen der Finsternis von fünf oder sechs Röhrchen von einem Winter zum nächsten festzustellen. Ut’Schtím schickte den Schreiber hinaus, der uns die Schriftrollen geöffnet und umgewendet hatte. Er sah mich an, wie Rám mich angesehen hatte, als ich berichtete, dass Inúla in der Steppe geboren hatte. Wie man einen Boten ansieht, der die Nachricht vom Tod eines Freundes überbringt.

„Wir führen diese Aufzeichnungen seit zehn Generationen“, sagte er, „aber wir haben sie noch niemals auf solche Weise gelesen.



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