Bretonisches Leuchten. Kommissar Dupins sechster Fall by Jean-Luc Bannalec
Autor:Jean-Luc Bannalec [Bannalec, Jean-Luc]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783462316872
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Dupin war in zügigem Tempo den grandiosen Weg am Meer entlanggelaufen; am Thalasso-Zentrum vorbei, wo Claire gerade ihre Massage genoss, über den wilden, zerklüfteten Vorsprung, der zwischen den Stränden lag, bis zum Plage Grève Blanche.
Hinter dem Strand erhoben sich mächtige, von buschigem, schillerndem Gras bewachsene Dünen, die steil zum Strand abfielen. Halb weggespült. Mächtige Steine, die wie eilig hingekarrt aussahen, um Schlimmeres zu vermeiden. Es war Anfang des Jahres auf den Titelseiten von Ouest-France und Télégramme zu sehen gewesen, spektakuläre Aufnahmen: Ein kolossaler Wintersturm hatte im Zusammenspiel mit einer außergewöhnlich hohen Flut das Land angegriffen, gigantische Sandmengen und auch einige Boote mitgerissen. Ohne die hohe Düne war dieser Teil Trégastels dem tobenden Ozean schutzlos ausgeliefert. Unvorstellbar an einem hochsommerlich freundlichen Tag wie heute, an dem das Meer entspannt dahinplätscherte.
Der Sand war tatsächlich blendend weiß, der Strand, deutlich größer als der, an dem Dupin und Claire immer lagen, machte seinem Namen alle Ehre. Eine sanfte Krümmung, die sich zu einer sandig-steinigen Landzunge formte und sich mit dem von Süden kommenden Grève Rose verband. Das i-Tüpfelchen war eine bizarre rosa Granitinsel am äußersten Ende der Landzunge. Der »Weiße Strand« galt, und das völlig zu Recht, als einer der schönsten Strände der Bretagne. An beiden Seiten des Zipfels flaches, klares, helles Meer in karibischen Farbabstufungen: kristallines Hellblau zunächst, dann Smaragdgrün, später Türkis, allmählich Grünblau und dann Tiefblau. Die Insel, vielleicht hundert Meter lang und umgeben von vielen kleinen Nachbarinseln, lag wie ein gigantischer Fisch im Wasser. Zwischen dem rosa Granit war grellgrünes Gras zu sehen, ein verrückter Kontrast.
Auch wenn es die gleichen Grundfarben waren wie in der geschützten Bucht von Ploumanac’h, die Stimmung war eine völlig andere. Der Strand, die Landschaft, die ganze Welt hier war dem offenen Meer ausgesetzt, alles war rauer, wilder. Sogar die Farbtöne wirkten kein bisschen warm und lieblich, sondern klar und scharf, als würden auch sie vom Seewind permanent gepeitscht.
Dupin suchte die Düne nach einem Zugang zum Strand ab, fand ihn, blieb kurz stehen und warf einen Blick auf die Karte.
Die Rue du Roi Arthur musste gleich um die Ecke sein.
Zwei Minuten später stand er vor der Nummer 47. Ein Neubau. Eckig, drei Stockwerke, Flachdach, ohne Schnörkel.
»Viviane Rabier. Élue Conseil régional de la Bretagne«. Ein diskretes Schild. Dritte Etage. Die oberste.
Ein junger Mann, höchstens dreißig, kam ihm auf dem Flur entgegen, Dupin hatte die Treppe, nicht den Aufzug genommen. Verwuschelte dunkelblonde Haare, sie standen in alle Richtungen ab, ein zerknittertes hellblaues Hemd, es wirkte, als hätte Dupin ihn geweckt.
»Bonjour, Monsieur le Commissaire. Ich bin Aiméric Janvier.«
Er sprach mit gedämpfter, beinahe konspirativer Stimme und schaute sich unruhig im kahlen Flur um.
»Kommen Sie.«
Er ging durch die geöffnete Tür voran in das Büro.
»Madame Rabier hat mich, wie Sie wissen, informiert, dass …«
Dupins Telefon. Es war erstaunlich lange ruhig geblieben.
»Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment.« Dupin ging in den Flur zurück.
Eine unterdrückte Nummer.
»Hallo?«
»Nun gehen Sie zu weit, Dupin! Eindeutig zu weit!«
Dupin erkannte die Stimme sofort. Der Kommissar aus Lannion war außer sich. Und so wie er sprach, schien er sich auf etwas Konkretes zu beziehen.
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