Boeser Traum by Birgit Schlieper

Boeser Traum by Birgit Schlieper

Autor:Birgit Schlieper [Schlieper, Birgit]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
veröffentlicht: 2013-03-25T23:00:00+00:00


Die Geräusche kommen zurück

Julius kann sich nur schwer von seiner neuen Lieblingspatientin trennen. Immer wieder streicht er über ihren Unterarm. Der ersten ruhigen Schlafphase folgt eine unruhige Zeit. Er merkt, wie hinter ihren Pupillen ein Kampf tobt. Die Lider flattern, die rechte Hand zuckt. Der Puls steigt. Er spürt, dass in dem Kopf des Mädchens ein Abgrund klafft. Er guckt auf die Uhr, erschrickt und löst sich nur schweren Herzens. Als er auf dem Rad sitzt, tritt er kräftig in die Pedale. Er hat einen Besichtigungstermin für ein möbliertes Zimmer. Am Freitagabend war es wieder schlimm gewesen. Gestern Morgen ist er um sechs Uhr aufgestanden, um sich den Teil mit den Vermietungen in der Zeitung anzusehen. Das Zimmer in der Altstadt klang nicht schlecht. Aber in seinen Ohren klingt jedes Zimmer gut, in dem er seine Ruhe hat. In dem nicht nebenan Männerbesuch ist und sich lautstark bemerkbar macht. Er war am Freitag schon fast eingeschlafen, als die Krankenschwester im Nebenzimmer zu stöhnen anfing. Vielleicht wäre es nicht so schlimm gewesen, wenn er noch wach gewesen wäre. Er hätte den Fernseher lauter drehen, sich die Musik in die Ohren stecken können. Aber so im Halbschlaf konnten die Geräusche in sein Innerstes eindringen und alte Bilder an die Oberfläche spülen. Er sah sich wieder in dem kleinen Bett liegen. Eigentlich war er schon zu groß für ein Gitterbett, aber seine Mutter studierte, hatte nicht viel Geld. Außerdem hatte sie ja die Stäbe abmontiert. Er konnte raus. Und er ging raus. Seine Mutter stöhnte. Sie musste Schmerzen haben. Der kleine Julius war sich sicher. Er hatte Dinge gesehen, die ihn ängstigten. Er wollte ihr helfen, traute sich aber nicht, etwas zu sagen. Und so hatte er nur dagestanden und geschaut. Fasziniert auch, angewidert mehr. Er hatte sie auf dem Bildschirm gesehen, worin sich das Spiel zwischen der Mutter und dem jeweiligen Mann spiegelte. Seine Mutter hatte ihn nicht bemerken können. Sie hätte vorsichtiger sein müssen, leiser auch. Aber sie war so jung gewesen. Dreiundzwanzig Jahre und auch ein bisschen stolz darauf, dass sie ihren kleinen Julius alleine großzog. Er war kein Wunschkind gewesen. Er war das Resultat einer kurzen Episode, bei der wenig Liebe im Spiel gewesen war. Als Julius’ Mutter ihre Schwangerschaft bemerkt hatte, war sie einfach nur überrascht gewesen. Und irgendwie ein bisschen verliebt in diesen kleinen Wurm in ihr. Sie hatte sich damals eingeredet, dass sie es schon irgendwie hinkriegen würde. Und vieles schaffte sie ja auch. Sie ging zur Uni, hatte einen Kita-Platz für ihren Sohn, sie jobbte nebenbei in einem Café, ging zum Kinderturnen. Sie bemühte sich, alles richtig zu machen, aber manchmal wollte sie nicht nur Mutter und fleißig sein. Sie wollte wild, jung, begehrlich sein. Und dann wurde sie wahllos.

Julius fing damals irgendwann an, sich zu verachten. Warum half er seiner Mutter nicht? Warum rannte er nicht schreiend ins Wohnzimmer, um dazwischenzugehen? Er biss sich auf die Lippen, später auf die Fingerknöchel. Er litt mit seiner Mutter. Das dauerte Jahre. Bis er auf dem Schulhof aufgeklärt wurde.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.