Blinde Schatten by Anna Martens

Autor:Anna Martens [Martens, Anna]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: #subject#
ISBN: 9783958190986
Herausgeber: Midnight
veröffentlicht: 2016-12-01T23:00:00+00:00

30.

Ich eilte die Straßen entlang, um möglichst schnell zur U-Bahn zu kommen. Dieses Mal hatte ich keinen Blick für die Menschen um mich herum, stattdessen durchforstete ich mein Gedächtnis, versuchte mich an die Gesichter einzelner Kunden zu erinnern. An auffällig Großgewachsene. Ob jemand einen besonderen Geruch an sich hatte. Doch mir kam nichts Greifbares in den Sinn – außer dem Phantombild, das mir die Polizei im Krankenhaus überlassen hatte. Dennoch war ich auf dem richtigen Weg. Dessen war ich mir absolut sicher. Die Unsicherheit, mit mir könnte etwas nicht stimmen, hatte mich viel zu lange gelähmt und verhindert, dass ich die richtigen Schlüsse zog. Doch das lag jetzt hinter mir, und ich fühlte genau, dass ich etwas Wichtiges entdeckt hatte.

Als ich endlich an der Haltestelle Poccistraße ankam, drängelte ich mich eilig aus der Bahn, scherte mich dabei nicht um meinen Gips und ignorierte die Schmerzen in den Rippen. Ich musste sofort in den Laden, brauchte so schnell es ging die Aufnahmen aus der Überwachungskamera. Warum war ich nicht schon früher darauf gekommen? Die Polizei hatte zwar definitiv den Tag des Überfalls geprüft, das hatte Buchholz gesagt. Doch was war mit den anderen Bändern? Wenn derjenige bei mir zu Hause gewesen war, kannte ich ihn. Und vielleicht entdeckte ich auf den Aufnahmen etwas, das meiner Erinnerung auf die Sprünge half. Denn eines war sicher: Jemand war hinter mir her. Und dieser Mensch entsprang nicht meiner Fantasie, sondern war real, egal, was der Kommissar mir zu suggerieren versucht hatte.

Ich stieß die Tür auf und stand, um Atem ringend, mitten im Raum. Daria saß mit einer Kundin auf dem Sofa und besprach offensichtlich gerade eine Änderung an einem Schmuckstück. Eine andere Kundin klammerte sich an ihrer roten Tasche fest, die ihr quer über der Brust hing, und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. Niemand bewegte sich oder reagierte, nur der Glockenton des Eintrittsmelders hallte noch im Raum nach. Was hatte ich mir nur dabei gedacht?

Ich murmelte ein verschämtes »Entschuldigung« und ging in den Werkbereich, hörte aber schon kurz darauf wieder die Türglocke. Eine Kundin hatte ich definitiv mit meinem Auftritt vertrieben. Doch das war mir egal. Ich musste die Bänder finden und zu Hause anschauen. Mit Daria würde ich später telefonieren. Sie würde das verstehen.

Als ich mir gerade an dem Apparat zu schaffen machte, hörte ich ein Geräusch hinter mir.

»Was um Himmels willen ist nur in dich gefahren, Johanna?«, fragte Daria, die offenbar hinter mich getreten war.

»Ist deine Kundin weg? Großartig, dann hilf mir doch bitte. Wir haben die Aufnahmen von der Kamera doch immer auf eine Festplatte gezogen. Kann ich die einfach abstecken und daheim an den Computer anschließen? Ich muss die durchsehen, ob ich vielleicht irgendetwas darauf erkenne.«

Daria erschien nicht an meiner Seite. »Daria?«

Ich drehte mich um und sah Daria mit verschränkten Armen im Raum stehen. Ihr Gesicht war keineswegs freundlich, und sie sah mich aus zusammengekniffenen Augen an.

Klar, dass sie sauer war. Ich musste mich entschuldigen.

»Sorry, dass ich gerade so hereingeplatzt bin, aber das ist die erste richtige Spur, und ich will keine Zeit verlieren.

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