Blackbox Abschiebung by Miltiadis Oulios

Autor:Miltiadis Oulios
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2015-02-16T16:00:00+00:00

Abschiebung in der »Integrationsrepublik«

Der Schlüsselbegriff, mit dem Abschiebungen legitimiert werden, ist mittlerweile »Integration«. Bei diesem Terminus denken viele Leute unter anderem an »Integrationskurse«, in denen Einwanderer Deutsch lernen. Gegen Sprach- und Orientierungskurse ist nichts einzuwenden – so einfach ist es aber nicht mit der »Integration«. Denn dort, wo es, behördlich gesehen, um die Vergabe von Rechten – vom Recht auf Aufenthalt bis zum Recht auf Einbürgerung – geht, steht der »Integrations«-Gedanke ebenfalls im Mittelpunkt. Er erlaubt es, weiterhin einem Teil der Gesellschaft gleiche Rechte vorzuenthalten, obwohl Einwanderung inzwischen zum offiziellen Selbstverständnis der Bundesrepublik gehört.

»Integration« hat dabei ein doppeltes Gesicht. »Integriert« werden kann nur, wer bereits ein Teil der Gesellschaft ist. Es wäre unsinnig, einen wirklich »Auswärtigen« – etwa einen Touristen – integrieren zu wollen. Die Aufforderung zur »Integration« kann sich einerseits ironischerweise nur an solche Menschen richten, die schon in die hiesigen sozialen und staatlichen Strukturen eingebunden sind. Andererseits wird der Begriff »Integration« ständig benutzt, um mit ihm den Konflikt um die Frage auszutragen, wer – aufgrund kultureller oder wirtschaftlich-sozialer Anpassung – wirklich als Teil der Gesellschaft begriffen werden soll. Die ideologische Behauptung, nicht »integrierte« Migranten würden nicht dazugehören, ändert nichts an ihrer faktischen Präsenz und an der Tatsache, dass sie ein integraler Bestandteil einer pluralen Gesellschaft sind.

Der Begriff der »Integration« markiert aber Menschen (immer wieder aufs Neue) als Fremde, selbst wenn schon ihre Eltern in Deutschland geboren wurden – und zwar als Individuen, die noch beweisen müssen, dass ihnen dieselben Rechte zustehen. In einer Demokratie können Rechte jedoch nur kollektive Rechte sein, andernfalls wären sie Privilegien. Indem das Konzept der »Integration« kollektive Rechte in Belohnungen für individuelle Anpassungsleistungen verwandelt, erlaubt es eine Eingrenzung der Demokratie, gleichzeitig soll es aber den Vorwurf der generellen Diskriminierung oder Abschottung abwehren. Im Grunde handelt es sich um den Versuch, den Forderungen nach gleichen Rechten, welche die Nachkriegseinwanderer in Deutschland spätestens seit den siebziger Jahren erheben, immer wieder den Boden zu entziehen, ohne Gleichberechtigung offen ablehnen zu müssen.113

Es ist klar, dass wir es hier mit einem äußerst fluiden Feld zu tun haben. Inwieweit Abschiebungen durchgesetzt werden können, hängt nicht nur davon ab, wie staatliche Stellen entscheiden, sondern auch davon, wie sehr Migranten auch ohne die nötigen Aufenthaltsrechte »integrierter« Teil der Gemeinschaft an ihrem Wohnort, in ihrer unmittelbaren Umgebung geworden sind. Eben deshalb kommt es immer wieder zu Kampagnen, wenn Mitschüler, Nachbarn oder Freunde abgeschoben werden sollen. Nach Meinung von Abschiebebefürwortern können die Behörden solche Abschiebungen umso »effizienter« durchsetzen, je unabhängiger von politischer Einflussnahme die Beamten vor Ort agieren können und je mehr Rückendeckung sie dabei von den Politikern der Länder erhalten.

In Baden-Württemberg ist die Fähigkeit, Abschiebungen durchzusetzen, am größten – ob sich dies nach dem Regierungswechsel im Jahr 2011 nachhaltig ändern wird, bleibt abzuwarten. Das Land hatte jedenfalls die Zuständigkeit von der kommunalen auf die regionale Ebene verlagert, so dass es schwieriger für Abschiebegegner wurde, zu intervenieren, weil die Bezirksregierungen nicht so einfach anzusprechen sind wie der Bürgermeister oder Ratsmitglieder in der eigenen Stadt. Deutlich wurde das zum Beispiel bei der im Jahr 2000

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