Black Vodka by Deborah Levy

Black Vodka by Deborah Levy

Autor:Deborah Levy
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Wagenbach
veröffentlicht: 2014-09-15T00:00:00+00:00


Die Kantine schien völlig menschenleer. An einer Wand tickte laut eine Uhr. Als ich (mich nach einer Zigarette verzehrend) vor der Selbstbedienungstheke stand und mich zwischen den weißen Plastiktellern, auf denen allerlei Gebäck mit allerlei Obst verpaart war (zwei Ingwerplätzchen mit einem Orangenschnitz, zwei cremegefüllte Kekse mit einer Scheibe Kiwi), nach Scones umsah, hörte ich jemanden meinen Namen rufen.

»Thomas. Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir.«

Elena war schon da. Sie hatte sogar ihren Mantel über zwei der grünledernen Sessel am anderen Ende des Raums gebreitet, als hätte sie mich erwartet. Und sie hatte eine Kanne Tee und zwei Stück Käsekuchen vor sich stehen. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich zu ihr zu setzen, leicht nervös, weil ich mit dieser mysteriösen, aber gestrengen Schwester zum ersten Mal allein war. Wir plauderten allgemein über Nicks Genesung, aber das war ganz eindeutig nicht das Thema, das ihr am Herzen lag.

»Warum sind Sie meinem Bruder so zugetan, Tom?«

Elena löffelte die Kirschen von ihrem Kuchen und wirkte weitaus entspannter als sonst.

»Weiß ich eigentlich nicht.« Ich sagte die Wahrheit. »Ich halte Ihren Bruder einfach für einen außergewöhnlichen Menschen.«

»Sie haben ja eine ordentliche Fahne.« Elena beugte sich vor. »Sie trinken, oder?«

»Ja, ich trinke.«

Sie schloss die Augen, wie um ihre Gedanken zu sammeln. Ich sah, dass sie blassblauen Lidschatten trug, der im Lampenlicht glänzte und glitzerte. Als sie die Augen wieder öffnete, war die Liebenswürdigkeit von ihr gewichen. Mir wurde rasch klar, dass ich überfordert war – ich war nicht gestrandet, sondern Elena schwamm neben mir im Tiefen.

»Nach Ansicht der Ärzte hat mein Bruder einen Nervenzusammenbruch. «

Ich bemühte mich zu lächeln.

»Ihr Bruder ist sehr krank.«

Wieder beugte sie sich vor.

»Ja. Er leidet für Sie.«

Elena leckte sich ein paar Käsekuchenkrümel von den Lippen und blickte durchs Fenster auf einen schwarzen Jaguar mit getönten Scheiben, der gerade vom Parkplatz losfuhr. Auf Höhe der Mohnblumen, die entlang dem Burggraben wuchsen, starb ihm plötzlich der Motor ab – und sprang mit einem Satz wieder an. Selbst davon wurden die zwei schlafenden Schwäne auf dem dunklen Wasser nicht wach.

Elena sah mich wieder an.

»Für meine Familie ist es sehr schwer. Verstehen Sie, Tom, ich weiß, dass mein Bruder mit einer immensen Empathie gesegnet ist … aber die Art von Problemen, mit denen Sie sich herumschlagen, sind nicht Nikos’ Probleme.«

»Ja«, antwortete ich feierlich. »Das leuchtet mir ein.«

»Er hatte als Kind völlig andere Probleme, zum Beispiel dass immer wieder der Strom abgesperrt wurde, weil Papa die Rechnung nicht bezahlen konnte. Er hatte ganz bestimmt nie eine holländische Hauslehrerin. Er besuchte eine Gesamtschule an der Holloway Road.«

Ich schenkte mir eine zweite Tasse Earl Grey ein – diesen Tee pflegt meine Mutter allein in einem der zwölf Zimmer des Familienanwesens zu trinken, das zu verkaufen sie sich strikt weigert.

»Ja, Elena. Ich habe vor seiner Einstellung seinen Lebenslauf gelesen.«



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