Bildnis einer Dame by James Henry

Bildnis einer Dame by James Henry

Autor:James, Henry
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-05-15T04:00:00+00:00


29

Ralph Touchett hatte, wie wir wissen, im Gespräch mit sei­nem Freund seine Ansicht über Gilbert Osmonds persön­liche Verdienste recht entschieden geäußert; aber das Verhalten dieses Herrn während der übrigen Tage ihres Aufenthalts in Rom hätte ihm tatsächlich das Gefühl geben können, allzu engherzig gewesen zu sein.

Täglich verbrachte Osmond einen Teil seiner Zeit mit Isa­bel und ihren Gefährten, und sie gewannen schließlich den Eindruck von ihm, er sei der umgänglichste Mensch der Welt. Wer hätte nicht gesehen, daß er sowohl taktvoll wie auch fröhlich sein konnte - vielleicht war es gerade das, was Ralph veranlaßte, ihm seinen altmodischen Anstrich oberfläch­licher Geselligkeit zum Vorwurf zu machen. Selbst Isabels mißgünstiger Verwandter mußte zugeben, daß er sich gegen­wärtig als ein angenehmer Gesellschafter erwies. Seine gute Laune war unerschütterlich, seine Kenntnis der jeweils rich­tigen Tatsache, seine Fähigkeit, stets das rechte Wort zu fin­den, kamen so gelegen wie das freundliche Aufflackern eines Streichholzes für den, der eine Zigarette rauchen will. Offen­sichtlich war er belustigt - so belustigt, wie ein Mann nur sein konnte, den alles stets so wenig überraschte, und das bewog ihn fast zu Beifallsäußerungen. Nicht, daß er sichtlich geho­bener Stimmung gewesen wäre - nie würde er im Konzert des Vergnügens die Kesselpauke auch nur mit dem Knöchel be­rühren; er hatte eine tödliche Abneigung gegen hohe, laute Töne, gegen das, was er leeren Lärm nannte. Er fand, Miss Ar­cher zeige zuweilen allzu überstürzte Bereitschaft. Es war schade, daß sie diesen Fehler hatte, denn wäre der nicht ge­wesen, dann hätte sie wahrhaftig keinen gehabt und sich sei­nem allgemeinen Verlangen nach ihr so glatt angeschmiegt wie Elfenbein der Handfläche.

Wenn Osmond persönlich nicht laut war, so war er dage­gen tiefgründig, und während dieser letzten Tage des römi­schen Mai erfüllte ihn ein Wohlbehagen, das ganz in Einklang stand mit langsamen, hin und wieder unternommenen Spa­ziergängen unter den Pinien der Villa Borghese, zwischen kleinen, lieblichen Wiesenblumen und moosbewachsenem Marmor. Alles erfreute ihn, noch nie zuvor hatten ihn so viele Dinge auf einmal erfreut. Alte Eindrücke, altes Vergnügen erneuerten sich; eines Abends, als er in sein Zimmer im Gast­hof zurückgekehrt war, schrieb er ein kleines Sonett, dem er die Überschrift »Wieder in Rom« gab. Einen oder zwei Tage später zeigte er dieses Stück korrekter und geschickter Vers­kunst Isabel und erklärte ihr, es sei ein italienischer Brauch, die Ereignisse des Lebens durch einen Tribut an die Muse zu feiern.

Im allgemeinen erlebte Osmond seine Freuden nur verein­zelt; allzu oft - das hätte er zugegeben - wurde ihm etwas Fal­sches, etwas Häßliches schmerzhaft bewußt; der befruch­tende Tau denkbaren Glücks fiel allzu selten auf sein Gemüt. Gegenwärtig aber war er glücklich - glücklicher, als er viel­leicht jemals im Leben gewesen war, und dieses Gefühl hatte ein breites Fundament, nämlich einfach das Bewußtsein des Erfolges - die angenehmste Empfindung des menschlichen Herzens. Osmond hatte nie zu viel davon genossen, in die­ser Beziehung hatte er das Verlangen nach Sättigung, wie er sehr wohl wußte und wie er es sich oft vor Augen hielt. »Ach nein, ich bin nicht verwöhnt worden, ganz gewiß bin ich nicht verwöhnt worden«, pflegte er innerlich zu wiederholen.



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