Behalt das Leben lieb: Roman by Jaap Ter Haar

Behalt das Leben lieb: Roman by Jaap Ter Haar

Autor:Jaap Ter Haar [Ter Haar, Jaap]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
Tags: Juvenile Fiction, General, Intermediate, Readers
ISBN: 9783423419444
Herausgeber: Deutscher Taschenbuch Verlag
veröffentlicht: 2013-01-21T10:30:03.796000+00:00


6

Wenn man blind ist, wiegen die Worte, die man hört, doppelt schwer. Das hatte Beer zuerst im Krankenhaus erfahren, als Schwester Annie anstelle von Schwester Wil gekommen war. Welch ein Unterschied zwischen ihren Stimmen!

Seither hatten Worte und Stimmen immer mehr Bedeutung bekommen. Spiegelten sie nicht die Persönlichkeit, den Charakter, die Seele eines jeden Menschen wider?

Wenn jemand mit ihm sprach, sah Beer kein Gesicht mehr. Keinen lachenden oder verbissenen Mund; keine fröhlichen oder traurigen Augen; keine eifrig gestikulierenden Hände, die die Worte der Menschen umrahmen. Er musste ohne die Kenntnis ihres Äußeren mit ihnen sprechen, ohne zu wissen, ob jemand sich scheu, verlegen oder herausfordernd benahm. Das war ein großes Handicap. Doch Beer hatte entdeckt, dass er den Menschen dennoch eine äußere Gestalt zuschreiben konnte: indem er aufmerksam ihren Stimmen lauschte.

Es gab eitle, aggressive und angeberische Stimmen; müde, traurige und erloschene Stimmen; und unzufriedene Stimmen. Es gab Stimmen, die einfach nur so daherredeten, und nachdenkliche Stimmen. Auf diese Weise besaß ein kleines Wort wie »ja« schon unendlich viele Bedeutungen: Es gab ein jauchzendes »Ja«, ein sachliches »Ja«, ein zögerndes »Ja«, ein tapferes »Ja«.

Nicht die äußere, sondern die innere Welt gewann an Bedeutung und die Worte berichteten durch ihren Klang ganz genau über das Wesen jedes Menschen. Das sollte Beer an diesem Sonnabendnachmittag aufs Neue erfahren, als er mit Bennie und Goof auf den Fußballplatz ging, um ihrem Kampf gegen Victoria »zuzuschauen«.

»Wie spät ist es jetzt?«, fragte Beer zum dritten Mal in einer halben Stunde.

»Viertel nach eins«, sagte Vater.

»Ob sie es vergessen haben?«

»Ach was. Sie werden bestimmt gleich kommen.«

Schon ein ganzes Weilchen ging Beer vor dem Haus auf und ab und wartete auf seine Freunde. Er fühlte sich nervös und wusste nicht, weshalb. Hatte er Angst vor einer Begegnung mit den Jungen seiner alten Fußballelf? Angst, dass der blinde Beer zu sehr am Rande stehen würde? Angst, wie ein verirrter Vogel an der falschen Stelle niederzugehen?

Geratter auf der Straße. Geklapper von Bennies Schutzblech, das schon vor dem Unfall locker war. War auch Goof mitgekommen?

»Heh, Beer!«

»Hallo, Beer!«

Die Fahrräder hielten an.

»Himmel, Goof!«, rief Annemiek. Ihre Stimme klang aufgeregt.

»Wo hast du . . .«

Beer konnte nicht sehen, dass Bennie und Goof ihre Finger mit einer Sssst-Geste auf die Lippen gelegt hatten. Annemiek schluckte ihre Frage hinunter.

»Sitz auf, Beer«, sagte Bennie eilig. »Wir müssen uns ranhalten!«

Beer ging hin, tastete mit seinem Stock nach dem Fahrrad. »Ja, nur zu. Hier steh ich.« Es klang etwas ungeduldig und gleichgültig. »Los, steig auf.«

Erstaunt sahen Vater und Mutter zu. Es berührte sie, dass Bennie und Goof ihren Sohn behandelten, als hätte er seine Augen noch. Als ob sich nichts geändert hätte. Als sei es ganz normal, dass er jetzt mit ihnen zum Sportplatz ging.

»Viel Spaß«, rief Mutter lebhaft – doch es tat ihr das Herz weh, als sie sah, wie unsicher ihr Beer auf dem Gepäckträger saß und beinahe das Gleichgewicht verlor.

»Sorgt dafür, dass ihr gewinnt«, rief Vater – innerlich traurig, weil er nie mehr zusehen konnte, wie sein Sohn spielte.

»Wir werden ihnen ’ne Lektion erteilen«, sagte Goof.

»Beer, halt du meine Tasche fest«, sagte Bennie.



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