Banatsko by Esther Kinsky

Banatsko by Esther Kinsky

Autor:Esther Kinsky [Kinsky, Esther]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


DIE REISEN

Der Akkordeonspieler war auf seinem Platz. Die klammen Fingerkuppen ragten aus schwarzen Halbfingerhandschuhen. Die Hände litten im Winter, an Kälte, Untätigkeit, dem unruhigen Streifen über Oberflächen auf der Suche nach vertrauten Regungen.

Er nickte mir zu, mich rührte sein Erkennen. Eine Handvoll Trinker hockte zusammen, sie redeten, lachten, schwiegen, riefen Worte durch den Raum, die jedem gelten konnten.

Die Lieder kamen zurück. Die langen ungefügigen Melodien, die Kreiselmusik. Wer weiß, wo sie gewesen waren. Im Bett oder im Schrank des Akkordeonspielers, auf einem schiefen Küchenbord in seinem Haus, zwischen trüben Gläsern und rissigen Bechern, eines Tages schlüpften sie wieder zurück in sein Instrument. Scheu waren sie noch, sie sirrten und maunzten in einer Ecke der Kneipe, wo niemand sie beachtete.

Noch ein Wintergesang, sagte der Akkordeonspieler leise, dann wird es Frühling.

In der Ebene, wo sich wenig ereignet und das Dasein sich langsam abspielt, wo jede Fortbewegung nicht nur größere Mühe sondern auch stärkeren Entschluss erfordert als andernorts, ist man dennoch unentwegt auf Reisen. Reisen vom dunklen, scharfen Schatten, den das Haus auf die Erde wirft, ins helle Licht des Mittags, Reisen von der Kühle in die Wärme und aus dem Wind in die Stille, Reisen vom Brot im Mund zum Wasser und von dort zu der kalten metallenen Schärfe der Messerschneide, die man sich abwesenden Sinnes zwischen die Lippen schiebt. Reisen vom Bellen der Hunde zu ihrem Verstummen, vom Blick, den der eine mit seinem Nachbarn wechselt, zur Abgewandtheit seiner Augen, von Wolke zu Sonne und von Sonne zu Wolke, vom Horchen auf das ferne Pfeifen eines Zuges zum dumpfen Schlag eines Fensterladens, von Schneeflocke zu Schneeflocke, vom Nutzen der Gegenstände zu ihrer Unbrauchbarkeit, von Tisch zu Bett, von Bett zu Schrank, von Schrank zu Fenster, vom Blick in die Ferne zum Verscheuchen einer Fliege, von Warten zu Warten und Hunger zu Hunger, und dennoch gelingt es, jeden Fremdling in die Irre zu führen und Stillstand und Reglosigkeit vorzugaukeln.



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