Balkan Blues by Petros Markaris
Autor:Petros Markaris
Die sprache: de
Format: mobi
veröffentlicht: 2011-12-01T23:00:00+00:00
Die Pension lag auf halbem Weg nach Mesaria. Auf der ganzen Strecke hielt Jimmy Aliki fest im Arm, da sie mal über eine Bodenwelle, mal über einen Stein stolperte. Jedesmal, wenn Jimmy ihr unter die Arme griff, überschüttete Aliki ihn mit Komplimenten der Art: »Ich wußte gleich, daß du ein Gentleman bist. Das hab ich auf den ersten Blick gemerkt.« Da sie ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle hatte, gingen ihre Küsse meist ins Leere. Mit Müh und Not brachte er sie ans Ziel. Sie ins obere Stockwerk zu verfrachten war Schwerstarbeit. Aliki schaffte es bis zur dritten Treppenstufe, blieb dort hängen und rutschte wieder zurück. Nach dem vierten Versuch gab Jimmy auf, er nahm sie auf den Arm und begann die Treppen hinaufzusteigen.
»Warum spionierst du mir hinterher?«
Die Frage kam aus heiterem Himmel, und diesmal wäre Jimmy fast gestolpert. Er versuchte das Gleichgewicht zu halten, während er verzweifelt nach einer Erklärung rang. Zum Glück bot ihm Aliki einen Ausweg.
»Laß nur, sag nichts. Bis morgen früh habe ich es ohnehin wieder vergessen.«
Vor ihrer Zimmertür klammerte sie sich an seinen Hals und flüsterte ihm zu: »Bleib heut nacht bei mir.«
Plötzlich schoß ihm die Idee durch den Kopf, sie dort, auf dem Bett, zu töten. Es war so einfach. Er mußte nur ein Handtuch aus dem Badezimmer holen und es ihr auf das Gesicht drücken.
»Bitte, bleib … Ich kann … So betrunken bin ich nicht …«, flüsterte Aliki. Mit einem Mal brach sie in Tränen aus. »Nein, nein, ich weine bestimmt nicht, wenn du bei mir liegst …«, beruhigte sie ihn. »Ehrenwort. Alles unter Kontrolle.«
Jimmy zog sie langsam, fast zärtlich aus. Aliki hielt die Augen geschlossen und lächelte unter Tränen. Als er bei BH und Slip angelangt war, drehte sich Aliki zur Seite und begann zu schnarchen.
Er hatte das Handtuch gepackt und wollte gerade damit aus dem Bad treten, als sein Blick auf die Klinge des Damenrasierers fiel. Warum mit dem Handtuch, dachte er. Wäre es nicht klüger, ihr die Pulsadern aufzuschneiden, damit es wie Selbstmord aussah? Er war sehr stolz auf seine Idee, doch als er sich über sie beugte, um ihr Handgelenk zu fassen, wirkte ihr Körper so eingefallen, so voller Falten – er sah die Hängebrüste, den schnarchenden, halboffenen Mund, und eine tiefe Trauer erfaßte ihn. Er warf die Rasierklinge aufs Bett und rannte aus dem Zimmer.
»Ich bin ein Versager«, sagte er immer wieder, als er den dunklen Feldweg entlangging. »Deshalb habe ich es nie weit gebracht. Niemand mag Figuren, die eine Geschichte grundlos in die Irre führen.«
Hundert Meter weiter erhellten die Scheinwerfer eines Wagens die Straße. Er gab dem Fahrer ein Handzeichen, der daraufhin neben ihm hielt. »Wenn du zum Hafen willst, steig ein«, meinte er.
Am Hafen ließ die Autofähre gerade die Laderampe herab.
»Kann ich auf dem Schiff eine Fahrkarte lösen?« fragte Jimmy einen Mitarbeiter der Hafenbehörde.
»Wohin?«
»Nach Piräus.«
»Die nehmen jetzt keine Passagiere nach Piräus an Bord. Der Fahrplan hat sich geändert. Die fahren zuerst nach Amorgos. Morgen früh kommen sie zurück, dann erst steigen die Fahrgäste nach Piräus zu.«
Diesmal kam Jimmy um den Fußmarsch nicht herum.
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