BLUTIGER FANG (German Edition) by Pflock Simon

BLUTIGER FANG (German Edition) by Pflock Simon

Autor:Pflock, Simon [Pflock, Simon]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-05-02T22:00:00+00:00


21

Joel wurde von Linda bewacht, die ihn kaum aus den Augen ließ.

Er atmete schwer und bekam durch den Mund nur mühsam Luft, weil Bronco den Knebel sehr stark angezogen und Joel zudem Probleme hatte, durch die Nase zu atmen.

Linda bemerkte das und lockerte ihm den Knebel etwas.

Joel gab die Versuche bald auf, sich zu befreien. Bronco hatte den Riemen zu fest angezogen und außerdem schien auch Linda entschlossen zu sein, ihrer Aufgabe nachzukommen.

Trotzdem hatte Joel den Eindruck, in ihrer Haltung zeige sich ein Anflug von Zweifel. Sie kämpfte mit sich. Sie war aufgestanden, lehnte an ein Regal und sah abwechselnd zwischen ihm und dem Rolltreppenaufgang hin und her, den sie aus dieser Entfernung wohl nur schemenhaft erkennen konnte.

Dann verharrte ihr Blick stumm auf ihm. Sie war offenbar froh, dass er nicht sprechen, ihr nicht ins Gewissen reden konnte – sie hätte es wohl kaum ausgehalten. Sie schien zu fühlen, dass das Eis sehr dünn war, das ihre Entscheidung trug – für Bronco und gegen ihn; und auch, dass Joel das Zeug gehabt hätte, dieses Eis zum Einbrechen zu bringen.

Das Schweigen und die Stille dieser Situation entsprach in einem gewissen Sinn der Sprachlosigkeit der Vernunft, die er für sich in Anspruch nahm. Lindas Verliebtheit hingegen pfiff auf rationale Entscheidungen, nüchterne Überlegungen oder klares Denken, ja offenbar selbst auf die Umsetzung des wegen Frank moralisch unbedingt Gebotenen. Wenn Sehen auch Verstehen hieß und Liebe bekanntermaßen blind machte, dann verstand sie nicht.

In Linda dominierte ein Liebeswille, der von vornherein die Macht hatte über alles andere, was sie bewegte oder hätte bewegen können. Und dass, was dieser Wille beeinflusste, war ihre Vernunft. Eine Vernunft, die ihr immer dann, wenn sie sich gegen sie selbst wandte, vermutlich genauso dürftig, geringfügig und eben sprachlos vorkam wie im Moment er selbst: geknebelt und gefesselt am Boden liegend. Wenn Bronco die Liebe – oder was auch immer das war – verkörperte und Joel die Vernunft, dann hatte die Liebe gesiegt. Wie jämmerlich lag er doch da, wie hilflos musste die Einsicht in das Richtige versauern – während Bronco aller Wahrscheinlichkeit nach gerade vollendete Tatsachen schaffte.

Doch Linda schien nervöser zu werden. Offenbar fragte sie sich, warum das so lange dauerte. Sie setzte sich hin, erhob sich aber gleich wieder, um nach den Rolltreppen zu sehen, und erschrak beim kleinsten Geräusch, etwa wenn die Aggregate der Kühlregale ansprangen.

Dann blickte sie ihm in die Augen.

Er spürte, sie kämpfte mit sich.

Plötzlich beugte sie sich zu ihm hinunter …



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