Aus dem Berliner Journal by Frisch Max

Aus dem Berliner Journal by Frisch Max

Autor:Frisch, Max [Frisch, Max]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2014-01-28T23:00:00+00:00


14223.5.

Ganzer Tag in DDR-Berlin. Vormittags im Verlag wegen des Nachwortes zum Band: AUS EINEM TAGEBUCH UND REDEN. Über die Lesung vorgestern kein Wort; meine Frage, warum die Diskussion nicht auf die Diskrepanz gegangen sei. Wie so oft bleibt es bei meiner Frage. Nachher ins Hotel UNTER DEN LINDEN, wo ich M. und Bierwisch treffe, vorher das Nachwort lese. Hier, in der Halle, sitzt auch Peter Edel, der freundlich an seinen Tisch bittet; ich lehne freundlich ab. Zu Recht oder zu Unrecht immer leicht das Gefühl, es beunruhigt sie, dass man Leute trifft, die nicht zum Verband gehören und die man unter vier oder sechs Augen trifft. Mittagessen, dann zu Wolf Biermann; auch der vortreffliche Bierwisch, der als Strukturalist nicht auf der Linie liegt und nicht zu Kongressen reisen darf, scheint etwas überrascht, dass wir jetzt zu Biermann gehen, jedenfalls fragt er nicht: Was macht Biermann? Eine merkwürdige Aura ist um diesen Namen wie um andere auch, eine Aura der Belastung, ein promptes Verstummen, wenn ich den Namen ausgesprochen habe. Dann der fröhliche Biermann, und zusammen mit Jürgen Böttcher, seinem Freund, zu einer privaten Vorführung seiner DEFA-Filme: DER SEKRETÄR, DER TIERGARTEN, WÄSCHERINNEN. Gute Arbeit unter schwierigen Bedingungen; Böttcher sehr glücklich, dass acht Augen seine Filme sehen, die fürs Volk gemacht worden sind. Der Sekretär in einem Industrie-Betrieb als Vertreter der Partei, ein sehr sympathischer Mann, glaubwürdig und vorbildlich und dazu authentisch, aber der Film passte dann doch nicht zu dem Bild, das der Parteitag sich eben von einem guten Sekretär erarbeitet hatte. Kaf143fee bei Biermann; er monologisiert, berichtet über eine PEN-Sitzung. Stoff für Komödien, wenn es nicht traurig wäre in der Auswirkung; Biermann ist aus der Erbitterung heraus, aber kein Achselzuckender, er schildert das Duckmäuser-System mit einer rasanten Heiterkeit, ohne Larmoyanz. Wie Genosse Abusch das Ergebnis einer Abstimmung annulliert, wie Herzfelde manövriert usw., wo unsereiner noch gar nichts riecht: die hohe Schule des Opportunismus der Person unter der Litanei vom Aufbau des Sozialismus. Wenn er sagt: Ein Schwein, so immer mit dem Überton: Ein armes Schwein. Nachher nochmals im Verlag wegen Besprechung des Nachworts; Dr. Kähler, heute viel gelockerter als damals, beginnt mit einer ausführlichen Selbstkritik, im Ernst rührend. Ich gehe davon aus, dass ich als Verfasser nicht mit dem Nachwort einverstanden sein muss; warum sollte es nicht eine Widerrede sein, aber als solche klar. Sein Text: unbeholfen, ein linkischer Versuch, den Leser vor einem Einverständnis mit dem Verfasser zu schützen, eine Pflichterfüllung, wobei der persönliche Respekt überwiegt. Die Komik wie bei vielen solchen Nachworten: Krankheitserscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft, was ich vorlege, und ihrerseits die philiströse Gewissheit, dass es in ihrer neuen Gesellschaft diese Probleme gar nicht mehr gibt, und warum interessiert es denn die Leser hier? Warum wollen sie es denn drucken: mein Identitätsproblem aus der bürgerlichen Vorzeit? Der Verlagsleiter begrüsst unser offenes Gespräch, ohne sich deutlich einzumischen; die Lektoren, Links und Simon, wahren den marxistischen Standort, meinen aber auch, es dürfte nicht philiströs sein. Ich schlage dem Nachwortschreiber vor: das Nachwort als blanke Kontroverse. Ohne Konvergenz. Er will es



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