Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - 01 - Auf dem Weg zu Swann by MArcel Proust

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit - 01 - Auf dem Weg zu Swann by MArcel Proust

Autor:MArcel Proust [Proust, Marcel]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783159603728
Herausgeber: Reclam
veröffentlicht: 2013-09-22T22:00:00+00:00


Er sagte sich, dass er dem Frühlingszauber, den er nicht in Combray würde genießen können, doch wenigstens auf der Schwaneninsel* oder in Saint-Cloud begegnen würde. Da er aber an nichts als an Odette denken konnte, wusste er dann nicht einmal, ob er den Geruch des Laubes wahrgenommen hatte, oder ob Mondschein gewesen war. Er wurde von der kleinen Phrase aus der Sonate begrüßt, die im Garten auf dem Klavier des Restaurants* gespielt wurde. Wenn dort keines vorhanden war, bemühten sich die Verdurins darum, eines aus einem der Zimmer oder aus dem Speisesaal herbeischaffen zu lassen: nicht etwa, weil Swann wieder Gnade bei ihnen gefunden hätte, im Gegenteil. Aber der Gedanke, jemandem eine sorgsam ausgedachte Freude zu bereiten, selbst jemandem, den sie nicht mochten, ließ in ihnen während der Zeit, die für diese Vorbereitungen notwendig war, vorübergehend Gefühle von Zuneigung und Herzlichkeit aufkommen. Manchmal sagte er sich, [373] dass hier ein weiterer Frühlingsabend dahinging, er zwang sich, die Bäume, den Himmel wahrzunehmen. Aber die Erregung, in die ihn die Gegenwart Odettes versetzte, und auch die leichte Fiebrigkeit, die ihn trotz allem seit einiger Zeit nicht verlassen hatte, raubten ihm die Ruhe und das Wohlgefühl, die den unverzichtbaren Hintergrund für die Eindrücke bilden, die die Natur uns vermitteln kann.

Als Swann eines Abends eine Einladung zum Diner bei den Verdurins angenommen hatte und während des Essens erwähnte, dass er am nächsten Tag an einem Treffen alter Kameraden teilnehmen werde, hatte Odette vor der ganzen Tischrunde, vor Forcheville, der inzwischen zu den Getreuen zählte, vor dem Maler, vor Cottard geantwortet: »Ja, ich weiß, dass Sie Ihr Treffen haben, ich werde Sie also erst danach bei mir sehen, aber kommen Sie nicht zu spät.« Auch wenn sich Swann niemals wirklich an Odettes Freundschaft zu diesem oder jenem Getreuen gestoßen hatte, verspürte er doch ein tiefes Glücksgefühl, zu hören, wie sie sich so vor allen, mit dieser gelassenen Schamlosigkeit, zu ihren täglichen Begegnungen am Abend bekannte, zu der bevorrechtigten Rolle, die er bei ihr spielte, und zu ihrer Vorliebe für ihn, die sich daraus ergab. Zwar hatte Swann oft gedacht, dass Odette in keinerlei Hinsicht eine bemerkenswerte Frau sei, und in der Überlegenheit, die er gegenüber einem Wesen ausspielen konnte, das ihm so unterlegen war, lag nichts, das ihm als schmeichelhaft hätte erscheinen müssen, wenn er es im Angesicht der ›Getreuen‹ verkündet sah, aber seit er bemerkt hatte, dass Odette vielen Männern als eine hinreißende und begehrenswerte Frau erschien, hatte der Reiz, den ihr Körper auf sie ausübte, ein quälendes Bedürfnis in ihm erweckt, sich zum Herrn auch noch des entlegensten Winkels ihres Herzens zu machen. Und er hatte begonnen, unsäglichen Wert auf diese Augenblicke zu legen, die er am Abend bei ihr verbrachte, in denen er sie [374] auf seinen Schoß setzte, sie aufforderte, ihm zu erzählen, was sie von diesem, was von jenem dachte, und die jetzt für ihn die einzigen Güter ausmachten, an deren Besitz ihm auf der Welt gelegen war. Nach dem Essen nahm er sie daher beiseite und dankte ihr überschwenglich,



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