Auf der Suche nach dem Wort, das berührt by Wolfgang Kämmerer

Auf der Suche nach dem Wort, das berührt by Wolfgang Kämmerer

Autor:Wolfgang Kämmerer
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg


Natürlich hatte der erfahrene Kliniker auf Anhieb gesehen, dass der Student organisch gesund war, an hypochondrischen Ängsten litt. Er hatte ihn durch eine einfache körperliche Untersuchung in seiner körperlichen Not an- und ernstgenommen. Diese Geste hatte dem Studenten geholfen. Es hätte nicht genügt zu sagen, „Es ist alles in Ordnung“ oder „Ich kann nichts Krankhaftes bei Ihnen finden“. Vielmehr lag die Betonung auf: „Ihr Herz schlägt ruhig und kräftig!“. Der nebenbei geäußerte Hinweis auf die Psychosomatische Klinik, ohne eine Antwort abzuwarten, hatte das Ohr des Betroffenen geöffnet.

Die sprechende körperliche Untersuchung ist vergleichbar mit dem, was ein Kind erlebt, wenn es gewaschen und gepflegt wird. Mutter oder Vater sprechen mit ihm und beschreiben, was sie tun. Das Kind erkennt am Sing-Sang der Stimme, Mimik und Körperhaltung der Mutter, ob dies harmlos ist oder wehtun wird. Wenn das Kind gefallen ist, weint, um Hilfe sucht, nehmen die Eltern es in den Arm, trösten es und befassen sich erst dann mit den schmerzenden Körper. Ständig sagen sie, was sie tun und was sie sehen, fühlen, hören. Anders wäre das Kind nicht zu beruhigen. Am Klang und an der Modulation der Stimme erkennt das Kind, was harmlos oder bedrohlich ist. In einer Atmosphäre, die das Kind in seiner Angst und seinem Schmerz beruhigt, lässt sich sein Schreck, sein Entsetzen überwinden. Das elterliche Benennen tröstet, vitalisiert, hebt das kognitive Niveau und versichert die Beziehung.

Dieser Aspekt der sprechenden Untersuchung des über seinen Körper verängstigten Erkrankten kann als Elternsprachliches Benennen (Kämmerer 1999a) bezeichnet werden. Die durch die Angst eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten des Patienten verbessern sich durch das antwortende Sprechen der körperlichen Untersuchung. Das Interesse nimmt zu, beide kooperieren bezogener, sind konzentrierter in die gemeinsame Arbeit vertieft, die zuvor angespannte Körperhaltung beginnt sich zu lockern, der Atem fließt freier. Die Situation beginnt sich zu vitalisieren, Ein zunehmend vertrautes Hin und Her setzt ein. Die im Körper gespeicherten und nur szenisch auszudrückenden Gefühle sind für chronisch Kranke kaum erträglich. Jedoch kann die Erfahrung, dass sich in körperlichen Beschwerden Erinnerungen verbergen, die sich durch Aussprechen in einer haltenden Beziehung bessern lassen, auch diese Kranken ermutigen, sich dieser Arbeit immer weiter zu öffnen. Die gemeinsame Vitalisierung zeigt, ob der Weg begangen werden kann.

Der Körper definiert, wie in Kap. 3 beschrieben, unsere Position in der sozialen Hierarchie . Über unseren leiblichen Ausdruck werden wir von unserer Mitwelt als unverwechselbar wahrgenommen. Der Blick der wichtigen Anderen ist hierfür maßgeblich. Vertrauen und Selbstsicherheit, unser Wissen um den eigenen Körper wird durch deren liebende Blicke, Gesten, Worte ein Leben lang unterhalten. Unsere Sicht auf uns selbst ist meist sehr kritisch. Putzmachen heißt, sich herrichten für einen Auftritt. Der Blick der Anderen wird vorweggenommen. Wir machen uns schön, verhüllen, was nicht gesehen werden soll, unser Äußeres muss stimmen, um dieses Taxiert werden zu bestehen. Wir benötigen Personen, in deren Händen wir uns vertraut und geborgen fühlen. Nur solche können uns helfen, soziale Situationen einzuschätzen und uns dafür „herrichten“. Beim „Putzmachen“ durch den Friseur, Masseur etc.. bekommen diese Begegnungen eine ungewohnt „vertraute“ Offenheit, die wir diesen Menschen gegenüber sonst nicht haben.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.