Auf dem Maniototo by Frame Janet

Auf dem Maniototo by Frame Janet

Autor:Frame, Janet [Frame, Janet]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406653865
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2013-11-15T05:00:00+00:00


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Eine Schriftstellerin hortet wie eine einsiedlerische Holzbiene Stückchen aus dem Reservoir der Vielfalt und beginnt dann wie besessen zu kauen; so errichtet sie einen langen Gang und bettet ihre eigene Existenz in ihre Nahrung ein. Die Esserin verschwindet. Im langen Gang treten die Figuren langsam in Erscheinung. Ich spreche jedoch von Literatur. Ich hatte vier Gäste. Ich wollte etwas über sie erfahren. Die Versuchung, «alles zu erzählen», war für sie nur natürlich, denn sie befanden sich innerhalb der Zeit und im ständigen Kampf gegen sie, wohingegen literarische Figuren unendlich viel Zeit und noch mehr haben und kein einziges Geheimnis wissentlich zu verraten brauchen.

Doris, rotbackig wie eine Geranie, klein, fast drall, mit stark hervortretenden Knochen, breitem Gesicht, blauen Augen und fest auf dem Boden stehenden Milchmädchenfüßen. Roger, mager, hellhaarig wie ein Obstgarten.

«Ich bin auf einer Farm in Neuseeland aufgewachsen», sagte Doris, «am Ufer des Rakaiaflusses in Canterbury; die Südalpen, unsere einzigen echten Wahrzeichen, waren immer in Sichtweite, unterteilten, ordneten, überwachten und erhellten unser Leben. Meine Schwester Noeline und ich verbrachten unsere ersten Jahre in einem begüterten Haus, damals, als der Besitz von Vieh gleichbedeutend war mit dem Besitz eines Goldschatzes und Schafe so wertvoll waren wie weiße Saphire. Ich war zu klein, um die Wirtschaftskrise der Dreißigerjahre zu begreifen und die Bedeutung jenes Tages im Spätsommer, nach der Dürreperiode, als mein Vater zwei Koffer auf den Gepäckträger eines alten Fahrrades lud und Mutter den Handwagen mit unseren in Zuckersäcke gestopften Kleidern vor sich herschob und wir uns von Pansy, unserer Lieblingskuh, die trächtig war und nichts zu fressen hatte, von den Schafen auf den verbrannten Weiden und den hungernden Lämmern auf unserer Wiese verabschiedeten und (kilometerweit, an Eukalyptusbäumen vorüber) zum Bahnhof gingen und den Zug nach Christchurch nahmen. Wir wollten nach Wellington, weil wir dachten, dass wir dort vielleicht Platz für uns und eine Arbeit für Vater finden würden, denn schließlich war Wellington die Hauptstadt, wo die Regierung wohnte. Tante Hilda, die Schwester meiner Mutter, die den Geschäftsführer eines Lagerhauses geheiratet hatte, würde uns aufnehmen, bis wir in die Wohnung zogen, die sie in Thorndon für uns finden wollten. Der Plan meiner Eltern sah vor, dass Mutter Kostgänger aufnehmen sollte, während Vater als Handelsreisender für Onkel Selwyns Firma arbeiten würde: Alles für Ihr Heim, Spezialität: Postversand.

Ich hatte immer das Gefühl, dass ich irgendwann einmal über unser Leben in Wellington ein Buch schreiben würde, beginnend mit der Zeit, als ich zusammen mit Noeline und den Kleidern im Handwagen saß. Ich erinnere mich, dass Mutter und Vater sich gestritten hatten, ob wir die Leintücher mitnehmen sollten; Vater hatte gesagt: «Andere Dinge sind wichtiger», und Mutter hatte mit Grabesstimme geantwortet: «Das ist das Ende. Ohne Schlafkomfort ist nicht abzusehen, wohin unser Leben führen wird.» Ich erinnere mich auch an die Farbe des Bahnhofs, und ich kann diese Farbe nicht sehen, ohne von einem Gefühl drohenden Untergangs befallen zu werden. Dieselbe Farbe sah ich auf dem Schiff nach Wellington. (Ich erinnere mich, dass ich sehr früh aufstehen musste und jemand zu mir sagte, schnell, schau



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