Auf Reisen: Feuilletons und Berichte by Stefan Zweig
Autor:Stefan Zweig [Stefan Zweig]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-02-29T23:00:00+00:00
Nekrolog auf ein Hotel
Ich werde mir gewiß – oh ganz gewiß nicht – erlauben, Einspruch zu erheben, ich als Fremder, oh ganz gewiß nicht, gegen den Beschluß der Stadt Zürich, das uralte und berühmte Hotel Schwert anzukaufen und in ein Steuerbureau umzuwandeln, aber dies muß doch gesagt sein: es ist schade. Denn seine Tradition hatte nicht seinesgleichen in der Schweiz und kaum in Europa, ein Zusammenhang ist plötzlich vernichtet, der durch die Jahrhunderte ungebrochen reichte bis zum Anfang der Stadt, ein schöner Ruhm der Beharrlichkeit durch die Zeiten für immer zerstört. Mit solchen Häusern geht viel von der Seele einer Stadt dahin, und was die eine Generation noch leicht hingibt, empfindet die nächste schon als Schmerz: ich erinnere mich noch, wie eines Tages in Wien die Arbeiter mit ihren Spaten kamen und begannen, das Sterbehaus Beethovens in der Schwarzspanierstraße niederzureißen. Damals achtete man kaum darauf, und heute ballt jeder heimlich die Faust, wenn er an der unförmigen Zinskaserne vorübergeht, die sich an seiner Stelle aufpflanzt. – Könnte man es mit Geld zurückkaufen, so fände man heute Millionen dafür – »erst der Verlust erweist den wahren Wert«.
Das alte Hotel Schwert nun bleibt an seiner Stelle. Kein Stein wird gerückt vom andern, aber doch, ein Unwiederbringliches wird ihm genommen: sein Sinn. Sein Sinn und sein Ruhm, daß es der älteste Gasthof der Stadt war, Heimstatt zahlloser bedeutender Menschen in sieben Jahrhunderten, und daß eine Kette zerrissen wird, die sich vielleicht noch lange weiter durch die Zeiten geschlungen. Mit jedem Tage wäre es ehrwürdiger geworden, mit jedem Jahr berühmter, und man hätte es noch mehr geliebt um des Unsichtbaren willen, um des Fluidums von Seltsamkeit und Pietät, das aus seinem Wesen strömte, hätte es geliebt, wie man die paar wenigen uralten Hotels Europas liebt, den ›Elefanten‹ in Weimar, die ›Kaiserkrone‹ in Bozen, das ›Hotel Voltaire‹ in Paris, um nur einige wenige zu nennen, die zum Gemeinbesitz unserer Welt gehören. Nicht für jeden natürlich. Vielen ist eine gute Zentralheizung und amerikanischer Komfort wichtiger als Erinnerungen, aber – ohne sentimental zu sein – wer nur irgendein Gefühl für historische Kultur hatte, empfand in diesem Hause die starke und erhabene Tradition als eine Gewalt. Wer war nicht in diesen Räumen gewesen in den sieben Jahrhunderten seines Bestandes? Kaiser und Könige, Kurfürsten und Markgrafen, aber dies fühlt der Sinn nicht so als bedeutsam, wie daß der junge Mozart hier weilte, als er von Paris kam. Daß Goethe hier lange wohnte und einige seiner wesentlichen Werke in diesen Räumen ihre irdische Heimat haben, daß Casanova hier jenes entzückende Abenteuer erlebte, das in seinen Memoiren nachzulesen ist. Daß Cagliostro unter falschem Namen sich hier barg, Fichte Hauslehrer des Wirtes war, Madame de Staël mit August Wilhelm Schlegel auf der Reise nach Wien einkehrte. Wer war hier, wer war hier nicht? So selbstverständlich galt es für den Fremden, der nach Zürich kam, im Schwerte abzusteigen, daß der Postkutscher kaum fragte und der Wagen durch die engen Straßen bis an die Limmatbrücke rasselte: Diese Räume sind das ungeschriebene Fremdenregister der Stadt durch sieben Jahrhunderte.
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