Auch du wirst einmal siebzehn by Lise Gast

Auch du wirst einmal siebzehn by Lise Gast

Autor:Lise Gast [Gast, Lise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-06-16T00:00:00+00:00


„Nein. Man sieht doch nur die Scheinwerfer von vorn“, sagte Gundel schwach. Es war so herrlich, hier zu sitzen und sich auszustrecken, den wunden Fuß ruhen zu lassen und dem Doktor zuzuhören.

Gilt das nun eigentlich? Ich habe noch nicht gewinkt, dachte es in ihr. Daß er hielt, war ja nicht meine Schuld. Aber zu Ende gegangen bin ich den Weg nun doch nicht.

Ach, gleichgültig! Der Wagen trug sie sanft und weich wie ein Zaubermantel dahin, die rauhreifbehangenen Bäume huschten vorüber, jetzt kamen schon die ersten Häuser. Hie und da sah man noch Licht.

„— — — aber blöd bist du doch. Man kümmert sich doch darum, ob man Anschluß hat“, schloß der Doktor irgendeinen Satz. Er schien sehr aufgeräumt zu sein, herrlicher Laune, ordentlich übermütig. Ob er sich freute, daß sie kam, und deshalb so vergnügt war?

„Weißt du was? Jetzt machen wir uns einen Punsch, aber so einen, und feiern Silvester, du und ich! Es ist sowieso ein angebrochener Vormittag.“

Gundel lachte und sprang aus dem Wagen. Autsch, der Fuß — sie humpelte zur Garagentür und hielt den Flügel zurück, während der Wagen hineinfuhr.

„Was hast du denn — am Bein, meine ich?“ fragte der Doktor, als er, mit der Decke und dem Köfferchen beladen, aus der Garage trat und die Tür mit dem Knie zustieß. „Eingeschlafen?“

„Nein, aufgerieben. Eine Blase, weiter nichts“, sagte sie lachend. Sie gingen ins Haus.

Im Wohnzimmer stand das Tischchen gedeckt, Pfannkuchen türmten sich zu einem herrlichen Berg, und die Teekanne stand unter der Haube.

„Aber Tee, nein. Mir steht der Sinn nach anderem“, verkündete der Doktor und hob den obersten Berliner Ballen mit den Zähnen vom Teller. Das war nicht leicht, er mußte den Mund weit aufreißen und konnte den braunen Ball kaum halten. Gundel mußte so lachen, daß sie sich fast verschluckte. Sie lachte und lachte und ließ sich auf die Couch fallen. Der Doktor lachte auch, als er wieder Luft bekam.

„Komm, trinken wir uns einen Schwips an, ja? Ich hol’ eine Buddel Rotwein. Aber erst — zeig!“

Er bückte sich und zog ihr den Schuh aus, ehe sie es hindern konnte. „Dieser war es doch, oder? O weh, damit bist du marschiert? Ich glaube, da war ich doch der rettende Engel!“

Sie lachte, seltsam verlegen, aber doch beglückt. Seine geschickten Hände taten so wohl.

„Wart, ich verpflastere ihn dir. Und dann — nein, bleib sitzen! Du sollst sitzen bleiben, hörst du nicht? Den Rotwein wärmen wir hier auf der elektrischen Platte.“

Er hatte ihr die Beine auf die Couch gehoben, deckte sie zu und stopfte ihr einen Berliner Ballen in den Mund.

„Damit du still bist, verstanden? Ich hol’ nur —“

Er ging hinaus, sie hörte ihn, unbekümmert um die Nachtruhe der anderen, halblaut vor sich hin singen, sehr fröhlich und sehr falsch. Das letzte, was sie fühlte, war der Zimtzucker, der ihr, während sie im Liegen aß, in den Ausschnitt des Kleides rieselte und am Hals schabte und kratzte. Sie bewegte das Kinn, schüttelte sich ein bißchen und lachte noch einmal, diesmal schon im Traum.

Als der Doktor hereinkam, schlief sie fest, unaufweckbar fest. Er sah sie an und mußte lachen, belustigt, aber auch bedauernd.



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