Aquila by Thomas Gifford

Aquila by Thomas Gifford

Autor:Thomas Gifford [Gifford, Thomas]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2006-07-17T18:14:24+00:00


In diesem mit Spannung erwarteten Augenblick spürte Chandler, wie ihn sein Hochgefühl verließ. Selbst ein blindes Huhn findet mal ein Korn, hatte sein Großvater vor langer Zeit oft und gern behauptet. Hier war es nun, sein Korn. Ihm zitterten die Finger, als er anfing, die kreuzweise verknotete braune Schnur des quadratischen Päckchens zu lösen, das ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter Seitenlänge hatte. Percy streckte ihm ein geöffnetes Taschenmesser mit Horngriff hin und sah Chandler fragend an. Als er nickte, war die Schnur rasch aufgeschnitten. Polly kniete mit angehaltenem Atem und vor Aufregung geballten Fäusten neben dem Tischchen. In der Ecke tickte ein Regulator. Das Meer donnerte gegen die Felsen unterhalb der Straße, Regen klatschte ans Fenster und rieselte den Kamin herab. Der Augenblick blieb wie eine

Momentaufnahme in Chandlers Kopf haften. Er war nicht mehr der Harvard-Professor, der Experte, der die Ereignisse aus der Ferne betrachtete, isoliert durch eine Schutzschicht von zwei Jahrhunderten … Wie eine Viper war die Vergangenheit aus dem Dunkel geschnellt und hatte neue Opfer gefordert, und diese Vergangenheit hielt er jetzt in der Hand.

Er wickelte das Packpapier ab und enthüllte das kleine Ölbildnis einer Frau, breit gerahmt in einfachem Eichenholz, das an manchen Stellen abgestoßen war und längs der Maserung hier und da einen kleinen Riss hatte. Es war über die Jahre ausgetrocknet, und die Erschütterungen während des kürzlichen Transports hatten zusätzlich Farbsplitter gelöst – aber es war eine fachmännische Arbeit, die bei Chandler ein eigentümliches Gefühl wachrief, so, als hätte er das Bild schon irgendwo 175

gesehen.

»Mein Gott, es ist nur ein Frauengesicht«, flüsterte Polly und schob sich näher an Chandler heran, um besser sehen zu können, während er das Bild hochkant stellte. »Keine geheimen Pläne, um Boston in die Luft zu jagen oder Harvard zu plündern!«

Percy Davis fuhr sich mit der Hand übers Kinn. »Wenn das nicht die Davissche Mundpartie ist, fress’ ich einen Besen.

Zweihundert Jahre sind eine lange Zeit, aber das Blut schlägt durch.«

Er schwieg einen Augenblick und sagte dann verwundert: »Tut mir leid, aber ich versteh das nicht: Jedes popelige Museum und jeder Antiquitätenladen in Neuengland hat so ein Zeug …«

»Wieso bringt man deswegen Menschen um?« Polly lehnte sich zurück und schaute das Porträt anklagend an. »Was ist mit dir, Lady?«

Die Frau auf dem Bild starrte unbeeindruckt zurück: eine Frau mittleren Alters, vielleicht noch in den Dreißigern, weil man damals vergleichsweise älter aussah. Ernstes, gut geschnittenes ovales Gesicht, attraktive hohe Backenknochen, dunkelbraune Augen, die nichts verrieten; eine Andeutung von Humor, der sich im Schwung der Augenbrauen zeigte, ein feiner

sarkastischer Zug um den Mund. Ihr Kleid war beige und weiß, in das Oberteil dicht über der unteren Rahmenkante war ein kornblumenblauer Streifen eingewebt. Das dunkelbraune Haar hatte die gleiche Farbe wie ihre Augen und war straff nach hinten frisiert, was ihre vornehme hohe Stirn zur Geltung brachte. Percy hatte Recht: Die Form seines Mundes glich der ihren aufs Haar.

Sie war vor einer blassblauen Wand gemalt worden, an der ein Bild hing, das teilweise von ihrem Haar verdeckt wurde. Zu jener Zeit war es anscheinend Usus, einen Hinweis



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