Apokalypse jetzt! - wie ich mich auf eine neue Gesellschaft vorbereite by Eichborn

Apokalypse jetzt! - wie ich mich auf eine neue Gesellschaft vorbereite by Eichborn

Autor:Eichborn
Die sprache: deu
Format: mobi, epub, azw3
Herausgeber: Eichborn
veröffentlicht: 2014-01-08T23:00:00+00:00


10. Einheizen –

Wenn Autarkie auf Hedonismus trifft

Wieder in Deutschland, in Berlin. Alles brennt. Der Pfefferminzschnaps hat Rillen in die Zunge gegraben, die Nasenschleimhäute sind von der Nebelmaschine und Benebelndem ausgetrocknet, die Füße schmerzen vom Tanzen, der Körper vibriert im Takt der Musik, im Kopf hat sich das Stroboskop von vier Tagen Elektroparty zu einem blitzenden Echo verselbstständigt. Ich liege auf einer Couch vor einem Berliner Elektro-Club und schaue der Party beim Sterben zu. Es ist ungewöhnlich harsch für diese Jahreszeit. Der Matsch auf den Wegen zwischen den verschiedenen Fabrikgebäuden des Areals hat sich unter den eisigen Temperaturen in eine unebene Kruste verwandelt. An einer lodernden Tonne wärmen sich eingemummelte Gestalten, deren Beine noch zu den Bässen wippen, die von innen bis hier herausdrücken.

Gerade stand ich noch mit ein paar Nachtgestalten am klebrigen Tresen einer Bar, die dank einer fransigen Nachttischlampe mit roter Birne wie ein angenehm verruchter Ort anmutete. Da waren mexikanische Filmemacher, Berliner Büroangestellte, schwäbische Künstler und zypriotische Studenten, die sich gegenseitig die Geschichten ihrer Tage, vor allem aber ihrer Nächte erzählten. »Berghain, Watergate, Kater Holzig« – das war unter Hauptstadt-Partymachern genauso, als ob jemand bei einem Klassentreffen vor seinen alten Freunden über »Meine Villa, mein Porsche, meine Yacht« fabulierte. Welcher Club ging an welchem Tag mit welchem DJ – solche Fragen wurden hier in diesem Schummer verhandelt, denn es waren die Prädikate eines Lebensentwurfs. »Na ihr Dreckschweine«, schrie ein Jack-Sparrow-Verschnitt mit langen lockigen Haaren in den Raum, der mit schweren Cowboystiefeln gerade von der Toilette zurückgewankt kam, wo er vermutlich nicht nur zum Pinkeln war. An der Bar angekommen, checkte er das weibliche Publikum ab. »Du bist ne geile Sau, das sehe ich sofort«, spuckte er mir sein giftiges Koks-Tourette ins Gesicht. Ich legte ihm wortlos eine Tüte Glitzerpulver, einen Lolli und eine LSD-Brille mit Prisma-Gläsern auf den Tisch, die ich als unverzichtbare Partyausstattung irgendwann in den letzten Stunden – oder waren es Tage? – an einem Kiosk auf dem Gelände gekauft hatte, stürzte den letzten Pfeffi der Nacht herunter und wünschte ihm viel Glück.

Um noch weiter aus der Welt, wie ich sie kenne, auszusteigen, habe ich beschlossen, in eine Parallelwelt einzusteigen. Eine, die schon jetzt ihren eigenen Gesetzen gehorcht, die weit weg ist vom Ideal geregelter Verhältnisse. Jedes Jahr strömen 160 000 Menschen aus Deutschland und aller Welt nach Berlin. Die überwiegende Zahl ist jung und ledig und sucht dort nicht das große Geld, sondern die großen Möglichkeiten. Steigende Wohnungsnot und wenige Arbeitsplätze schrecken sie nicht ab, denn es geht um einen Ort für Utopien. Das inoffizielle Label der deutschen Hauptstadt – »arm, aber sexy« – scheint auch mir ein vielversprechender apokalyptischer Lockruf. Wo, wenn nicht hier, kennen sich Leute mit einem Leben jenseits der Geldlogik aus? Im Berliner Partysumpf probieren ausreichend viele Leute aus, wie man sich vom System abkoppelt. Elektro-Clubs wie die alte »Bar 25« waren kein Fluchtpunkt aus der Realität, sondern eine eigene Wirklichkeit. Raum, Zeit, Kausalität – alles schien aufgehoben im Moment.

Von der feuchten Couch aus wandert mein Blick über das Gelände. Es



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.