Ansichten eines Klaus - Roman by Michael-André Werner

Ansichten eines Klaus - Roman by Michael-André Werner

Autor:Michael-André Werner [Werner, Michael-André]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau
veröffentlicht: 2012-11-06T23:00:00+00:00


KÜRZLICH

»Chef?«

Nein, darauf reagiere ich schon mal gar nicht.

»Che-hef!«

Ich gehe an Manuela vorbei in die Küche, als hätte ich nichts gehört. Eigentlich will ich gar nicht in die Küche, aber was soll ich machen? Ich kann ja schlecht hier am Tresen stehen bleiben und ihr das durchgehen lassen oder sie ignorieren.

»Kann ich dich mal was fragen?«, macht sie weiter und kommt mir hinterher. Immerhin hat sie nicht noch mal Chef gesagt.

»Jaaaah?«, ermuntere ich sie, weiterzureden.

»Ich wollte dich mal was fragen«, variiert sie ihre Worte von eben. Warum eigentlich? Ich habe doch schon ja gesagt. Sind wir hier in einem Kriegsfilm? Sir, erbitte Erlaubnis, sprechen zu dürfen, Sir. – Erlaubnis erteilt, Kadett.

Ich ziehe die Kühlschranktür auf und nehme mir einen Becher Schokoladenpudding.

Sie fragt immer noch nicht.

»Ja, was denn?«

»Also, ich hab eine Frage.«

»So weit waren wir schon.« Ich drücke die Kühlschranktür zu und nehme mir einen Löffel aus dem Besteckkasten, stelle den Becher hin, reiße den Deckel ab und ...

»Na, darf ich?«

»Ja, mein Gott, was denn? Fragen? Ja, du darfst fragen. Frag!«

Ich stecke den Löffel in den Pudding und beginne, darin herumzurühren.

»Warum kaufst du eigentlich nicht den normalen Pudding, den nicht aufgeschäumten.«

»Das willst du mich fragen?«

»Nein, ich meine ja bloß, dann brauchst du nicht zu rühren, um die Luft rauszukriegen.«

»Vielleicht schmecken die anderen nicht. Und rühren muss ich ja sowieso«, sage ich. »Also, was ist nun?«

»Das ist dein zweiter heute«, sagt Manuela.

»Ja, und ich glaub, ich brauch gleich noch einen dritten. War das jetzt deine Frage?«

»Nein, ich ...«, druckst sie und tritt tatsächlich von einem Fuß auf den anderen. So was hab ich bisher nur in billigen Kinderbüchern gelesen. Hoffentlich geht es nicht um Urlaub, Gehaltserhöhung oder – was Persönliches. Manuela nimmt ein Fläschchen Tabasco und reicht es mir.

»Oh, oh«, sage ich, schraube das Fläschchen auf und spritze einen Tropfen Tabascosauce auf den Pudding. »Das muss ja was ganz Schlimmes sein, wenn du so zuvorkommend bist.«

»Ich bin ein bisschen aufgeregt«, sagt sie, nimmt das Fläschchen, das ich ihr hinhalte, und schraubt es wieder zu. Ich fange an, den Spritzer Tabasco langsam in meinen Pudding zu rühren.

»Siehst du«, sage ich, »rühren muss ich sowieso. Also?«

»Also«, sagt sie, und ich denke, »also« ist ein schönes Wort. Es bedeutet nichts, man kann fast jeden Satz damit beginnen, und dann kann man erst mal nachdenken, was man eigentlich sagen will und hat noch gar nichts gesagt.

»Du weißt doch, dass ich male.«

»Hattest du schon mal erwähnt«, sage ich. »Gleich am ersten Tag, nein, schon beim Vorstellungsgespräch.«

»Echt?«

»Ja, echt.«

»Na, jedenfalls male ich, und da wollte ich dich mal fragen, ob ich hier bei uns ausstellen könnte.«

»Bei uns?«, frage ich und stecke mir einen Löffel voll Tabasco-Schokopudding in den Mund.

»Na hier, im Theaterklaus.«

Ich esse noch einen Löffel Pudding und sehe sie an. Manuela dreht das Tabasco-Fläschchen in ihren Händen hin und her, wahrscheinlich würde sie es kneten, wenn sie könnte. Dann stellt sie es auf die Ablage.

»Was sagst du?«

»Hm«, sage ich.

»Da haben die Gäste mal was anderes, was sie ansehen können, nicht immer dieselben grauen Wände.«

»Die Wände hier sind nicht grau.«

Manuela zeigt auf die Wand hinter ihr.



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