Animal Triste by Maron Monika

Animal Triste by Maron Monika

Autor:Maron, Monika [Maron, Monika]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


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Wie das Wetter in diesem Sommer war, weiß ich sowenig, wie ich sagen könnte, ob es unser erster oder dritter oder letzter Sommer war, ob Franz und ich überhaupt nur einen oder mehrere Sommer miteinander erlebt haben oder ob uns vielleicht nicht einmal der Wechsel aller Jahreszeiten vergönnt war. Für mich ist die Zeit mit Franz eine zeitlose, durch kein Zählwerk geordnete Zeit geblieben, in der ich mich seitdem befinde wie im luftigen Innern einer Kugel.

An diesem Sonnabend, an dem Franz mit seiner kleinen blonden Frau nach Schottland flog, hat es geregnet, oder es schien die Sonne, oder die Sonne schien nicht, und es war trocken und kühl, ich weiß es nicht. Bis zur letzten Sekunde hatte ich gehofft, Franz würde umkehren, so wie ich, hätte mich jemand aus Berlin entführen wollen, umgekehrt wäre, was aber unnötig war, weil ich nicht meine Koffer gepackt und zum Flugplatz gebracht hatte, weil ich niemandem versprochen hatte, mit ihm zu verreisen, weil ich Franz niemals, auch nicht für einen Tag, freiwillig verlassen hätte. Im Strom der Autos ließ ich mich ziellos durch die Stadt treiben, ein ödes Chaos, das keinen Ort für mich zu haben schien, ohne Franz ihres Sinns beraubt, als hätte ich nicht mein ganzes Leben in ihr zugebracht ohne Franz. Ich war zu alt, um nicht zu wissen, daß ich das landläufige Klischee von einer liebeskranken Person bis zur Lächerlichkeit erfüllte, und konnte doch nicht anders, als mich diesem Zustand ganz und gar hinzugeben. Wie ein verirrtes Insekt, das sich hoffnungsvoll und vergeblich wieder und wieder gegen das Fensterglas stürzt, suchte ich nach einem Weg, meiner Wehrlosigkeit zu entkommen. Franz entflogen in die Unerreichbarkeit mit einer Frau, zu der er mehr gehörte als zu mir; sterben, dachte ich, sterben. Die Einsicht, daß gegen die mir bevorstehende Qual nur der Tod etwas ausrichten konnte, ließ mich hemmungslos in Tränen ausbrechen, so daß ich in die nächste Seitenstraße einbiegen und einen Parkplatz suchen mußte, den ich nach einigen Minuten wieder verließ, weil schwarzgelockte Kinder, die in der Nähe gespielt hatten, sich an meinem Auto versammelten und neugierig durch die Frontscheibe starrten, hinter der sie mit offensichtlichem Befremden eine nicht mehr junge, heulende Frau sitzen sahen. Ich wußte nicht, wo ich mich befand, noch weniger, wohin ich wollte, und als ich vor mir ein Auto sah, das, mit Ausnahme des Nummernschildes, dem von Franz absolut glich, fuhr ich ihm nach. Natürlich wußte ich, daß es nicht Franz’ Auto war und daß Franz jetzt im Flugzeug neben seiner Frau saß und ihr wahrscheinlich gerade eine Nachricht aus der Zeitung vorlas oder ihre Hand hielt, weil sie sich, wie ich, vorm Fliegen fürchtete. Trotzdem empfand ich das fremde Auto als einen tröstlichen Schatten von Franz, und der Mensch, der es fuhr, hatte die gleiche Marke und die gleiche Farbe gewählt wie Franz, obwohl ich nicht einmal wußte, ob wirklich Franz und nicht seine Frau die Wahl getroffen hatte. So waren Franz und ich oft hintereinander hergefahren, im Westteil der Stadt Franz vor mir, im Ostteil ich vor Franz.



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