Anerkennung by Axel Honneth
Autor:Axel Honneth
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Respekt, Sozialphilosophie, recognition, reconnaissance
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
182V. Anerkennung im ideengeschichtlichen Vergleich: Versuch eines systematischen Resümees
In den drei nationalen Kulturen, die ich in näheren Augenschein genommen habe, wird die Abhängigkeit eines jeden Subjekts von der Anerkennung durch seine Mitmenschen jeweils sehr unterschiedlich gedeutet: Im Frankreich der beginnenden Moderne wird von La Rochefoucauld bis Rousseau und später dann auch von Sartre und Althusser in dieser konstitutiven Abhängigkeit vor allem eine Gefährdung des »authentischen« Zugangs zum eigenen Selbst gesehen; in Großbritannien wird von Shaftesbury über Hume und Smith bis hin zu John Stuart Mill diese Abhängigkeit vordringlich als eine Chance zur moralischen Selbstkontrolle des Subjekts wahrgenommen; und im Deutschland des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts wird dieselbe Abhängigkeit schließlich von Kant über Fichte bis zu Hegel als Bedingung der Möglichkeit von individueller Selbstbestimmung verstanden. Bevor ich mich an die schwierige Frage heranwage, ob sich diese sehr unterschiedlichen Bedeutungsassoziationen eher exklusiv oder doch komplementär zueinander verhalten, ob sie sich also wechselseitig ausschließen oder zusammengenommen zu einer vertieften Einsicht in dasselbe Phänomen beitragen, will ich die gerade erwähnten Unterschiede noch einmal in größerer Allgemeinheit und damit weitgehend in Unabhängigkeit von den genannten Denkern zusammenzufassen versuchen. Als Leitfaden soll mir dabei die Frage dienen, was 183in den drei unterschiedlichen Kontexten jeweils unter »Anerkennung« genau verstanden und wie deren Wirkung auf die beteiligten Subjekte, also den Anerkennenden und den Anerkannten, im Einzelnen gedeutet wird.
Schon die erste der beiden Teilfragen bringt erhebliche Schwierigkeiten mit sich, weil es den Anschein hat, dass in den drei Bedeutungskontexten jeweils etwas anderes mit einer solchen Anerkennung gemeint ist. Im ersten Fall, dem des vornehmlich in der französischen Kultur beheimateten Denkens, ist Anerkennung etwas, wonach Subjekte streben, weil sie ein Bedürfnis besitzen, zur Wertschätzung oder zumindest zu einer gesicherten Existenz im Rahmen der Gesellschaft zu gelangen, in der sie leben; teils zielt dieses Begehren darauf, Anderen gegenüber eine soziale Vorrangstellung zu erringen, teils auch nur darauf, überhaupt als ein legitimes Mitglied der sozialen Gemeinschaft gelten zu können. In der Schwebe bleibt dabei, ob die damit erstrebte Anerkennung einen eher kognitiven oder normativen Charakter besitzt, weil es sich häufig nur um den Wunsch nach einer Zurkenntnisnahme der eigenen (präsumtiven) Eigenschaften handelt, es gelegentlich aber auch um eine moralische Auszeichnung dieser Eigenschaften zu gehen scheint; was jeweils gemeint ist, ergibt sich dann stets aus dem Kontext, doch es überwiegen in dieser Tradition, wie wir gesehen haben, deutlich die epistemischen Konnotationen; damit hängt auch zusammen, dass es hier relativ unklar bleibt, ob die Anerkennung ihrerseits einer graduellen Abstufung fähig ist, ob sie also in verschiedenen Graden daherkommen kann. Überwiegt die epistemische Konnotation, so scheint eine solche Graduierung nicht möglich, weil es nur um die entweder richtige oder falsche »Erkenntnis« von »objektiven« Gegebenheiten gehen 184kann, während bei der normativen Verwendung Abstufungen durchaus möglich sind, wie Rousseaus Differenzierung zwischen gleichem Respekt und graduierbarer Wertschätzung zu erkennen gibt. Ganz anders sieht es im zweiten Fall aus, dem des vornehmlich britischen Denkens; hier meint »Anerkennung« zwar auch etwas, wonach Menschen im Allgemeinen aufgrund ihrer motivationalen Natur streben, aber sie tun dies weniger, um dadurch irgendeine
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