An einem Tag wie diesem by Peter Stamm

An einem Tag wie diesem by Peter Stamm

Autor:Peter Stamm [Stamm, Peter]
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
Tags: Roman
ISBN: 9783104010250
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 2011-10-27T22:00:00+00:00


Am Wochenende schauten sich die Eltern von Frau Cordelier die Wohnung an. Sie mochten sie, und noch am selben Tag wurde ein Vorvertrag aufgesetzt. Die Cordeliers wollten alle Zimmer streichen lassen und die Böden schleifen. Die Möbel wollten sie nicht übernehmen.

Der Immobilienhändler sagte, den definitiven Vertrag könnten sie frühestens in eineinhalb Monaten unterzeichnen. Andreas sagte, er werde in ein paar Tagen ausziehen und ins Ausland verreisen. Der Immobilienhändler sagte, er könne jemanden bevollmächtigen, ihn vor dem Notar zu vertreten. Das Geld werde ihm nach Vertragsunterzeichnung überwiesen.

Am Montag holte ein Trödler die Möbel. Als er die Statue der Jagdgöttin einpacken wollte, sagte Andreas, die werde er behalten. Der Trödler sagte, sie sei wertlos. Für die Möbel bot er Andreas einen viel zu niedrigen Betrag. Nur aus Prinzip stritt sich Andreas mit ihm und trieb den Preis ein wenig in die Höhe.

Alles, was er jetzt noch besaß, passte in einen Koffer, in denselben roten Kunstlederkoffer, mit dem er vor achtzehn Jahren in die Stadt gekommen war: ein paar Kleider, Toilettensachen, ein Schlafsack, Fabiennes Briefe, die Musikkassetten und die zwei Bücher, die er behalten hatte. Nicht einmal sein Adressbuch packte er ein. Er fühlte sich sehr leicht, von allem Ballast befreit. Es war ihm, als habe er die ganzen Jahre geschlafen, als sei er taub geworden wie ein Körperteil, das man lange nicht bewegt hat. Jetzt empfand er jenen seltsam lustvollen Schmerz, den man spürte, wenn das Blut zurück in den Arm oder das Bein schießt. Er war noch am Leben, er bewegte sich.

In dieser Nacht schlief Andreas zum letzten Mal in der Wohnung. Er legte sich im Schlafsack auf den Boden wie in den ersten Nächten, die er hier verbracht hatte, und wie damals war ihm die Wohnung fremd und ein bisschen unheimlich. Er schlief schlecht. Als er erwachte, dämmerte es. Er stand auf und ging durch die Wohnung. Seine Schritte waren sehr laut in den leeren Räumen, und sein Husten bekam durch den Hall etwas Bedrohliches. Andreas trat ans Fenster und öffnete es. Es hatte in der Nacht ein wenig geregnet, und die Zementplatten im Hof glänzten gleichmäßig dunkel. Er zündete sich eine Zigarette an und rauchte sie, obwohl sie ihm nicht schmeckte. Er beobachtete eine Amsel, die laut pfeifend von Ast zu Ast hüpfte. Als er das Fenster schloss, schreckte sie auf und flog davon. Er hatte noch ein wenig bleiben wollen, um sich von der Wohnung zu verabschieden, die er nie wiedersehen würde, aber sie interessierte ihn plötzlich nicht mehr. Es war nicht möglich, sich von irgendetwas oder irgendwem zu verabschieden, dachte er. Der letzte Blick war wie der erste, die Erinnerung nicht mehr als eine von vielen Möglichkeiten.

Er wickelte die Statue in eine der Gardinen, die er gestern von den Fenstern genommen hatte. Dann verließ er die Wohnung, ohne sich noch einmal umzudrehen. Im Briefkasten waren ein paar Prospekte und ein Brief, den er einsteckte, ohne auf den Absender zu achten. Er hätte die Post von seiner Abreise verständigen sollen, dachte er, aber er hatte keine neue Adresse, wusste nicht, wohin er gehen würde.



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