Amphiaraus by Nils Jäger

Autor:Nils Jäger
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter
veröffentlicht: 2020-09-07T16:06:35.114000+00:00

An die Seite der göttlichen alumni tritt nun Tiresias, dessen Zugehörigkeit zu Theben durch das Possesivum suus hervorgehoben wird. Die Stelle verweist auf den großen Verlust, als den die Argiver den Tod des Amphiaraus zuvor betrachtet haben. Die Thebaner haben nicht nur die Tellus auf ihrer Seite, sondern im Gegensatz zu den Argivern noch einen Seher, der ihnen weiter Rat erteilen kann. Die verschiedenen Paiane auf die lokalen Götter und Heroen werden dann eingeleitet mit canunt ab origine Thebas: Hier wie bei alumnus zeigt sich die Engführung zwischen thebanischen Göttern, der Tellus Thebana und der Stadt Theben. Anfangspunkt der Gründungsgeschichte ist hier der Raub der Europa, der mit mare Sidonium (8,229) und sulcatum Nerea (8,230) aufgerufen wird. Der Thebaner-Gesang weist starke Rückbezüge zum Proöm der Thebais auf, und zwar sowohl inhaltlich als auch im Blick auf die Konstruktion Thebens im und durch den Gesang.462 Cowan hat herausgearbeitet, dass das condere, das Cadmus im Proöm betreibt (1,8: agricolam infandis condentem proelia sulcis), auf verschiedenen Ebenen gelesen werden kann, u. a. auf der metapoetischen, aber auch im Hinblick auf die Tätigkeit eines Stadtgründers.463 Ausgehend von den durch Cadmus kreierten sulci weist er weiterhin nach, dass die Gründung des Cadmus im Proöm römisch koloriert ist, und zwar vermittelt durch den sulcus primigenius, der bei einer römischen Stadtgründung gezogen wird.464

Bedenkt man den Rückbezug auf das Proöm, so erweist sich die Formulierung sulcatum Nerea als implikationsreich. Inhaltlich gesehen „durchpflügt“ Zeus als Stier hier das Meer. Dieses sulcare allerdings weist zurück auf die Tätigkeit des Cadmus im Proöm und zugleich voraus auf die Tätigkeit des Cadmus im nächsten Vers (8,231). Letztere wiederum steht mit seiner Tätigkeit im Proöm in engem Zusammenhang, zumal Zeus in Gestalt eines als Zugtier geeigneten Tieres pointiert am Versende steht (tauro, 8,230), inhaltlich korrespondierend mit bovem im folgenden Vers. Der Europa-Episode wird somit geradezu ein Stadtgründungs-Subtext eingeschrieben. Weiterhin spiegelt sich in sulcatum Nerea auch der Motivkomplex Wasser. Die Neugründung Thebens im Gesang nimmt ihren assoziativ-imaginären Anfang mit dem Ziehen des sulcus primigenius im Meer, das die thebanische Landschaft während des Erdbebens motivisch ‚überflutet‘ hatte. Weiterhin bilden der pflügende Zeus und der pflügende Cadmus zusammen ein Gegenbild zum Sichelwagen des Amphiaraus, der zunächst das Feld metaphorisch ‚gepflügt‘ hatte, um dann die thebanischen Kämpfer niederzumähen (s. o. Kap. 7.5 zu 7,691; 713). Auch eine imaginäreWiedererrichtung der zuvor instabilisierten Mauern (iam frondea nutant / culmina, iam muri, 7,799f.) wird im Gesang der Thebaner betrieben: alii Tyriam reptantia saxa / ad chelyn et duras animantem Amphiona cautes, [...] laudant (8,232–234).

Neben Cadmus und Amphion tauchen im Gesang der Thebaner zwei weibliche Figuren auf, bei denen jeweils der Fokus auf ihrer Rolle als Mutter liegt. Es sind dies die schwangere Semele (gravidam Semelen, 8,234), und Venus, auf deren Hochzeit mit Mars Bezug genommen wird (Cythereia laudant / conubia, 8,235). Entsprechend folgt die aus dieser Verbindung hervorgegangene Harmonia in Vers 236, während Bacchus, die Leibesfrucht der Semele, im Gleichnis wieder auftaucht (8,237–239). Der Erzähler selbst zeigt sich mit diesem Gleichnis geradezu selbst inspiriert von der fröhlichen Stimmung der Thebaner und den Inhalten der Gesänge, die er schildert.

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