Amerika - Roman by Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Autor:Suhrkamp-Verlag <Berlin> [<Berlin>, Suhrkamp-Verlag]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-10-26T04:00:00+00:00
Ein Asyl
Es mußte wohl eine entlegene Vorstadtstraße sein, in der das Automobil haltmachte, denn ringsherum herrschte Stille, am Trottoirrand hockten Kinder und spielten. Ein Mann mit einer Menge alter Kleider über den Schultern rief beobachtend zu den Fenstern der Häuser empor. In seiner Müdigkeit fühlte sich Karl unbehaglich, als er aus dem Automobil auf den Asphalt trat, den die Vormittagssonne warm und hell beschien.
»Wohnst du wirklich hier?« rief er ins Automobil hinein.
Robinson, der während der ganzen Fahrt friedlich geschlafen hatte, brummte irgendeine undeutliche Bejahung und schien darauf zu warten, daß Karl ihn hinaustragen werde.
»Dann habe ich hier also nichts mehr zu tun. Leb wohl«, sagte Karl und machte sich daran, die ein wenig sich senkende Straße abwärts zu gehen.
»Aber Karl, was fällt dir denn ein?« rief Robinson und stand schon vor lauter Sorge ziemlich aufrecht, nur mit noch etwas unruhigen Knien, im Wagen.
»Ich muß doch gehen«, sagte Karl, der der raschen Gesundung Robinsons zugesehen hatte.
»In Hemdärmeln?« fragte dieser.
»Ich werde mir schon noch einen Rock verdienen«, antwortete Karl, nickte Robinson zuversichtlich zu, grüßte mit erhobener Hand und wäre wirklich fortgegangen, wenn nicht der Chauffeur gerufen hätte: »Noch einen kleinen Augenblick Geduld, mein Herr!«
Es zeigte sich unangenehmerweise, daß der Chauffeur noch Ansprüche auf eine nachträgliche Bezahlung stellte, denn die Wartezeit vor dem Hotel war noch nicht bezahlt.
»Nun ja«, rief aus dem Automobil Robinson in Bestätigung der Richtigkeit dieser Forderung, »ich habe ja dort so lange auf dich warten müssen. Etwas mußt du ihm noch geben.«
»Ja, freilich«, sagte der Chauffeur.
»Ja, wenn ich nur noch etwas hätte«, sagte Karl und griff in die Hosentaschen, obwohl er wußte, daß es nutzlos war.
»Ich kann mich nur an Sie halten«, sagte der Chauffeur und stellte sich breitbeinig auf, »von dem kranken Mann dort kann ich nichts verlangen.«
Vom Tor her näherte sich ein junger Bursch mit zerfressener Nase und hörte aus einer Entfernung von einigen Schritten zu. Gerade machte durch die Straße ein Polizeimann die Runde, faßte mit gesenktem Gesicht den hemdärmeligen Menschen ins Auge und blieb stehen.
Robinson, der den Polizeimann auch bemerkt hatte, machte die Dummheit, aus dem anderen Fenster ihm zuzurufen: »Es ist nichts, es ist nichts!«, als ob man einen Polizeimann wie eine Fliege verscheuchen könnte. Die Kinder, welche den Polizeimann beobachtet hatten, wurden nun durch sein Stillstehen auch auf Karl und den Chauffeur aufmerksam und liefen im Trab herbei. Im Tor gegenüber stand eine alte Frau und sah starr hinüber.
»Roßmann!« rief da eine Stimme aus der Höhe. Es war Delamarche, der das vom Balkon des letzten Stockwerks rief. Er selbst war nur schon recht undeutlich gegen den weißlich blauen Himmel zu sehen, hatte offenbar einen Schlafrock an und beobachtete mit einem Operngucker die Straße. Neben ihm war ein roter Sonnenschirm aufgespannt, unter dem eine Frau zu sitzen schien. »Halloh!« rief er mit größter Anstrengung, um sich verständlich zu machen, »ist Robinson auch da?«
»Ja«, antwortete Karl, von einem zweiten, viel lauteren »Ja« Robinsons aus dem Wagen kräftig unterstützt.
»Halloh!« rief es zurück, »ich komme gleich!«
Robinson beugte sich aus dem Wagen. »Das ist ein Mann«, sagte er,
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