Am Strand by McEwan Ian

Am Strand by McEwan Ian

Autor:McEwan, Ian [McEwan, Ian]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-20T16:00:00+00:00


Vier

In dem knappen Jahr zwischen der ersten Begegnung mit Florence an der St. Giles Street und ihrer Hochzeit in der kaum einen Kilometer davon entfernt gelegenen Kirche St. Mary war Edward oft über Nacht zu Gast in der großen viktorianischen Villa abseits der Banbury Road gewesen. Violet Ponting hatte ihm jenen Raum im Dachgeschoß zugewiesen, der in der Familie allgemein nur die »kleine Kammer« genannt wurde, m züchtiger Entfernung vom Zimmer ihrer Tochter, dafür mit Blick auf einen ummauerten, fast hundert Meter langen Garten und das dahinter gelegene College-Gelände - oder waren es die Ländereien eines Altenheims? Er hatte nie herauszufinden versucht, worum es sich nun genau handelte. Die »kleine Kammer« war größer als jedes Schlafzimmer bei ihm zu Hause in Turville Heath, wahrscheinlich sogar größer als das Wohnzimmer dort. Ein schlichtes, weiß gehaltenes Regal mit den Loeb-Ausgaben lateinischer und griechischer Klassiker nahm eine ganze Wand ein. Edward gefiel es, das Zimmer mit solch strenger Gelehrsamkeit zu teilen, doch wußte er, daß er keinem etwas vormachte, wenn er Bücher von Epiktet oder Strabo auf dem Nachttisch liegenließ. Wie überall sonst im Haus waren die Wände hier exotisch weiß gestrichen - im gesamten Anwesen der Pontings gab es keinen Fitzel Tapete, weder mit Streifen noch mit Blümchenmuster -, und der Boden bestand aus nackten, rohen Dielen. Er hatte den Dachstock ebenso für sich allein wie das geräumige Bad auf halber Treppe mit seinen viktorianischen Buntglasfenstern und den lackierten Korkfliesen, letztere ebenfalls neu und ungewohnt.

Sein Bett war breit und überraschend hart. In einer Ecke unter der Dachschräge standen ein blankgescheuerter Holztisch mit Gelenkleuchte und ein blaugestrichener Küchenstuhl. Es gab weder Bilder noch Teppiche, keine Nippes, keine Papierschnipsel und auch sonst keine Überbleibsel irgendwelcher Freizeitbeschäftigungen. Zum ersten Mal in seinem Leben kümmerte er sich hin und wieder um ein bißchen Ordnung, denn dies war ein Zimmer, wie er noch keines gekannt hatte, eines, in dem man ruhige, klare Gedanken fassen konnte. Hier schrieb er an einem sternenklaren Novemberabend gegen Mitternacht auch jenen Brief an Violet und Geoffrey Ponting, in dem er ihnen mitteilte, daß er ihre Tochter zu heiraten beabsichtige, und er fragte nicht einmal um ihre Erlaubnis, so sicher rechnete er mit ihrer Zustimmung.

Er hatte sich nicht geirrt. Sie schienen erfreut und feierten die Verlobung mit einem Festmahl für die ganze Familie im Randolph-Hotel. Edward war so unerfahren, daß es ihn nicht weiter überraschte, wie willkommen er im Haushalt der Pontings war. In höflicher Bescheidenheit nahm er an, als fester Freund von Florence und später dann als ihr Verlobter stünde es ihm zu, daß sein Zimmer, wenn er von Henley herübertrampte oder mit dem Zug nach Oxford fuhr, stets für ihn bereit war, daß es gemeinsame Mahlzeiten gab, bei denen seine Ansichten über die Regierung und die Weltlage gefragt waren, und ihm die Bibliothek ebenso zur freien Verfügung stand wie der Garten mit Krocketfeld und eigenem Federballplatz. Er war dankbar, aber auch nicht sonderlich erstaunt, als man sich im Haus um seine Wäsche zu kümmern begann und dank des Hausmädchens regelmäßig ein ordentlich gebügelter Kleiderstapel am Fußende des Bettes bereitlag.



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