Alltag im Ausnahmezustand by Schneider Richard C

Alltag im Ausnahmezustand by Schneider Richard C

Autor:Schneider, Richard C.
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-DVA Sachb./Belle.
veröffentlicht: 2018-02-07T16:00:00+00:00


3 – Das Ende der Zwei-Staaten-Lösung, oder wie Netanyahu die USA zum Narren hält

Schlachten wir eine heilige internationale Kuh: Die Zwei-Staaten-Lösung wird es nicht geben. Kaum einer traut sich das so wirklich auszusprechen, auch wenn es in letzter Zeit häufiger Artikel und Kommentare gegeben hat, die das bereits thematisiert haben. Palästinensische Intellektuelle schlagen schon seit geraumer Zeit vor, die Ein-Staaten-Lösung anzustreben und somit Israel von innen heraus zu zerstören, ohne einen einzigen Schuss abgegeben zu haben. Der eine Staat vom Mittelmeer bis zum Jordan würde bald eine palästinensische Mehrheit haben, sodass irgendwann die Frage nach der Wahlberechtigung und der Staatsbürgerschaft aufkäme, da eine Apartheid-Politik auf Dauer nicht funktionieren würde. Manche Politiker im Ausland warnen Israel davor. John Kerry, Außenminister unter Barack Obama, hatte gegen Ende seiner Amtszeit Israel eindringlich davor gewarnt, den Augenblick für eine Zwei-Staaten-Lösung zu verpassen, es wäre das Ende des jüdischen Staates, es wäre das Ende des demokratischen Staates. Und so hält die internationale Politik an alten Mantras fest: »Friedensprozess«, »Land für Frieden«, »Zwei-Staaten-Lösung«, während die Realitäten vor Ort bereits ganz andere sind.

Natürlich will und wollte auch die Siedlerbewegung nie eine Zwei-Staaten-Lösung. Auch ihr schwebt – allein schon aus religiös-ideologischen Gründen – ein großes Israel vor, ich scheue mich, »Groß-Israel« zu schreiben, weil das im deutschen Sprachraum gleich mit »Großdeutsches Reich« assoziiert wird, was aber historisch und ideologisch nicht vergleichbar ist. Man will mindestens 60 Prozent des Westjordanlandes annektieren, damit wäre man 95 Prozent der Palästinenser los, die dann jenseits einer solchen willkürlichen, einseitig gezogenen Grenze leben würden. Was mit ihnen geschehen soll, ist den Siedlern ganz egal, sie könnten ja nach Jordanien gehen, dort sei die Mehrheit der Bevölkerung eh palästinensisch, dann hätten sie jenseits des Jordans ihren eigenen Staat. Dies ist eine uralte Idee von Ariel Sharon, und so »verlockend« sie für die Siedler zu sein scheint, so verkennt sie doch, was das Ende der Herrschaft des Haschemitenkönigs für Israel bedeuten könnte: Unruhe an seiner längsten Grenze, keinen Friedenspartner mehr, keine Kooperation im Sicherheits- und Geheimdienstbereich zusammen mit den Amerikanern. Ganz abgesehen davon, dass hier die Rechnung ohne den Wirt gemacht wird, denn bei dieser Idee werden die Palästinenser natürlich gar nicht erst gefragt, was sie dazu sagen. Umgekehrt ist es natürlich so, dass die große Mehrheit der Israelis auch keine Ein-Staaten-Lösung will, ein Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern ist heute undenkbarer denn je. Der Hass ist zu groß, das Misstrauen, die Angst.

Und was ist mit Benyamin Netanyahu? Was will der eigentlich? Gewiss, er hat in seiner bereits zitierten Bar-Ilan-Rede 2009 den Begriff »Zwei-Staaten-Lösung« in den Mund genommen, er wird einerseits nicht müde, den internationalen Medien zu erklären, dass er für eine gerechte Lösung zwischen Palästinensern und Israelis sei, doch er tut nichts, um einen palästinensischen Staat in irgendeiner Form zu ermöglichen und sagt auf Hebräisch ganz andere Dinge als auf Englisch. Kann er nicht? Will er nicht? Ich denke, es ist ein wenig von beidem. Netanyahu würde seine Koalition um die Ohren fliegen, wenn er den Palästinensern echte Zugeständnisse machen würde. Andererseits hätte er die Option gehabt, mit den heutigen Oppositionsparteien eine Koalition einzugehen.



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