Alles oder nichts im Hier und Jetzt by Tom Növe

Alles oder nichts im Hier und Jetzt by Tom Növe

Autor:Tom Növe [Növe, Tom]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783739262499
Herausgeber: Books on Demand
veröffentlicht: 2015-11-17T16:00:00+00:00


Wasser und Steg

Der Tag begann mit einem Eklat. »She doesn’t exist. I don’t want to hear about it anymore«, hatte S.O.T., keinen Widerspruch duldend, ein für alle Mal klargestellt.

Auf die Übersetzung pfeifend, stürmte Marco, gerade erst zur Gruppe gestoßen, hinaus.

Aufforderungen, mitten in den Schmerz zu gehen, Belehrungen über das Blendwerk der Materie, über die einzig wahre, immerwährende Quelle, sämtliche Versuche waren am verzweifelten jungen Mann, der die Trennung von seiner Freundin weder begreifen noch verwinden konnte, abgeprallt.

»Sie existiert nicht«, dröhnte es in Katharinas Ohren, lauter als die ins Schloss krachende Tür. »Deine Freundin existiert nicht.«

Aber wer sagte das, überlegte sie. Wer? Irgendwie kam sie sich betrogen vor.

Nach dem Satsang lief sie ihm in die Arme. Und lag kurz darauf auf seinem Bett. Noch bevor sie ein Wort gewechselt hatten. Doch ihr war nach Reden zumute.

Sie sei blockiert, unreif, verkopft. Er war gereizt, überaus gereizt.

Dann stieß sie versehentlich den Wasserkrug um und brachte das Fass zum Überlaufen. S.O.T. herrschte sie an, er warf sie hochkantig raus: »Buzz off! Get out of here! Buzz off!! Hurry up!!!«

»Trägste dein T-Shirt neuerdings verkehrt rum«, stichelte Alex auf dem Flur, und draußen gluckten Jessica und Priya zusammen, zerrissen sich das Maul, als sie – dumm, albern, wertlos, eine Ausgestoßene – davonlief.

»Fasten ist was für Schwergewichte.« Paul machte den Kühlschrank für seinen Großeinkauf verantwortlich: »Alle, alle…« Er stopfte Obst, Salat und Kartoffeln in gähnend leere Gemüsefächer, er schob Fertiggerichte, Milchprodukte und Getränke in das brummende Fossil. Seine Kochkünste waren überschaubar, aber die Restaurants in der Gegend – teuer und übertrafen sich gegenseitig an Geschmacklosigkeiten. »Uhr kaputt, Meniskus lädiert, bald fünfzig«, listete er seine Gebrechen auf. »Von meinem Kreuz ganz zu schweigen. Immerhin ist es ein ganz schöner Fußmarsch bis zum Retreatcenter. Bei der Hitze. Mit einem Loch im Bauch.«

Obendrein war er geringfügig verstört, wegen der im Großen und Ganzen harmlosen Szene, die er tags zuvor aus den Augenwinkeln verfolgt hatte. Zudem erforderten andere, gewichtigere Probleme seine volle Konzentration.

»Bin morgen wieder dabei«, verkündete er aus der Küche.

Das Handtuch um ihre nassen Haare geknotet, schmollte Katharina auf dem Eichenstamm. Sie probierte die Melone, verzog das Gesicht und bat ihn um sein Urteil: »Findest du mich nett?«

»Wie nett?«

»Okay. Zumutbar. Sympathisch.«

»Ich finde, die Melone schmeckt lecker. Was hast du eigentlich?«

»Normal oder bescheuert? Locker oder verklemmt?«

»Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«

»Du bist schlimmer als dein Duschbecken.«

»Mein Duschbecken?«

»Noch verstopfter.«

»Also, hör mal… «

Worauf lief das hinaus? Warum eskalierten Gespräche mit Frauen zu Denksportaufgaben? Seis drum, er war ihr nicht böse.

»Meinst du, falls wir irgendwann erleuchtet sind, machen wir alles richtig? Im täglichen Leben. Was so dazugehört… Hast du Alkohol im Haus?«

»Ist es möglich, mit Verstopfung erleuchtet zu werden?«

»Mensch Paul, mir geht’s echt scheiße.«

»14,5 Prozent. Ich hoffe, das reicht. Darf ich endlich erfahren, was los ist?« Etwas hölzern legte er seinen Arm um ihre Schulter.

Sie trank den Wein wie Wasser. Sie schniefte. »Kann ich hier schlafen?«

»Sieh dich mal um.«

»Von mir aus im Schaukelstuhl.«

»Die Kunst ruft. Jeden Moment müsste… «

»Mach mich ganz klein.«

»Geht ehrlich nicht.«

»Ich interessier mich für Kunst.« Sie überschüttete ihn mit Lob: »Deine Bilder, echt cool.



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