Alles geben die Götter by Paul Waters
Autor:Paul Waters [Waters, Paul]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2015-09-10T16:00:00+00:00
Neuntes Kapitel
Als Erstes gingen der Hain um Kynosarges und der Tempel des Herakles in Flammen auf, dann kam das Lykeion dran. Wir sahen von der Stadtmauer zu, wie die Pinien zum Himmel loderten und das Feuer alles verschlang, die Kolonnaden, von denen ich Menexenos und seinen Freunden aus zugesehen hatte, das Badehaus, die Gesellschaftsräume mit den Lesesälen und Skulpturen und feinen Wandgemälden, sogar der heilige Hain um den Wolfsapollon, von dem jeder glaubte, sie würden ihn aus Ehrfurcht vor den Göttern verschonen.
Das Lykeion war erst der Anfang. Danach wandten sich die Makedonier der Akademie zu, die in ganz Griechenland berühmt war für ihre Gelehrsamkeit. Erwachsene Männer standen mit tränenüberströmtem Gesicht da, weil sie hilflos zusehen mussten, wie das Feuer in Schule, Bibliothek und Gärten wütete. Kein strategischer Vorteil sei durch diese Zerstörung zu gewinnen, sagten sie. Hier werde das Wissen der Menschheit vernichtet.
Philipp teilte sein Heer und ließ Philokles vor den Mauern Athens, damit er uns belagerte, während er selbst auf Piräus zumarschierte.
Ich dachte an die langen Mauern, durch die die Athener sicher vom Hafen zur Stadt hätten gelangen können, wären sie nicht so vernachlässigt worden. Jetzt waren sie zerfallen. Obwohl so nah, musste Piräus nun nach besten Kräften selbst für seine Verteidigung sorgen.
Durch die Gunst eines Gottes und die Sturheit der kleinen Garnison hielt Piräus stand. Darauf ließ Philipp seine Wut an der Umgebung aus, setzte alles in Brand, was brennbar war. Alle Tempel, Heiligtümer, Gegenstände der Verehrung, alles Schöne riss er nieder. So weit das Auge reichte, sahen wir Rauch aufsteigen, als Felder und Höfe angezündet wurden.
Als schließlich nichts mehr übrig war, was sich noch stehlen oder zerstören ließ, und keine Nahrung für das Heer, zogen die Makedonier ab, nach Norden über die Pässe nach Böotien, woher sie gekommen waren. Am Tag darauf ritt ich mit Menexenos und seinem Vater hinaus, um zu sehen, was aus dem Hof geworden war.
Die Straße jenseits des Stadttors lag voller Scherben. Selbst die Toten waren von Philipps Zorn nicht verschont geblieben. Denn bei den Scherben handelte es sich um die zerschmetterten Totenvasen, die auf den Gräbern entlang der Straße gestanden hatten. Auch die Gräber waren zerstört. Knochen aus den eingeschlagenen Sarkophagen lagen verstreut auf verbrannter Erde. Die bäuerlichen Tempel mit ihren Holzpfeilern und Strohdächern waren abgebrannt, die Standbilder umgeworfen.
Kleinias war kein Mann, der sich seine Empfindungen anmerken ließ. Doch bei jedem neuen Beispiel böswilliger Zerstörung schüttelte er den Kopf oder bemerkte, wem das verwüstete Land gehörte, an dem wir vorbeiritten.
Irgendwann jenseits des Hymettos sagte Menexenos: »Vater, kehre doch zur Stadt zurück. Wir können das an einem anderen Tag tun.«
»Nein«, erwiderte er. »Wir müssen dem ins Gesicht sehen.«
In der Ferne wurde der Paneion sichtbar, und wir bogen auf den Weg ab, der zu ihrem Gehöft führte. Schon von Weitem sah man die niedergebrannten Terrassen an den Hängen, wo die Weinstöcke gestanden hatten.
Bald darauf fanden wir die verkohlten Kadaver der Schafe auf den einstigen Feldern. Was die Makedonier nicht verzehren oder mitnehmen konnten, hatten sie niedergemetzelt und zusammen mit dem Getreide verbrannt.
Die Olivenbäume beim Haus, die geduldige Arbeit von Generationen, waren abgehackt und in Brand gesteckt worden.
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