Alleine ist man weniger zusammen by Bokowski Paul
Autor:Bokowski, Paul [Bokowski, Paul]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: MANHATTAN
veröffentlicht: 2015-05-17T16:00:00+00:00
Das Aquarium
Seit der Kieferorthopäde gegenüber ausgezogen ist, steht vor dem Spätkauf in meiner Straße ein einsames Aquarium. Kalkbeschlagen, aber ansonsten in makellosem Zustand. Ein sehr großes zerbrechliches Gebilde, so breit wie hoch, aber doppelt so lang. Warum ein Weddinger Kieferorthopäde ein altes Aquarium aufbewahrt, und ob es mit Absicht oder aus reinem Zufall vergessen wurde, das sind Geheimnisse, welche allein die Zahnfee lüften könnte. Dem Kiez jedenfalls ist dieses Ungetüm egal. Die Menschen in meiner Straße schenken dem seltsamen Artefakt keine große Aufmerksamkeit. Immerhin vergeht doch kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo in unserer Nachbarschaft ein alter Kühlschrank, eine verschlissene Spülmaschine, eine mit Flecken übersäte Matratze oder ein brüchiger Lattenrost auftauchen. Sie kommen, und sie gehen, verharren eine Woche, einen Monat oder manchmal sogar ein ganzes Jahr. Nur wenn ein Zettel daraufklebt mit der magischen Aufschrift »Bitte stehen lassen, wird morgen abgeholt!« ist das alte Ding über Nacht und wie von Zauberhand verschwunden.
Ein Aquarium, so viel sei zugegeben, sieht man dennoch recht selten in unserem Kiez. Was sich allem Anschein nach auch der volltrunkene junge Mann auf dem Gehweg gegenüber gedacht haben mag, dessen gedämpftes Ächzen und Stöhnen mich kurz nach Mitternacht vom Sofa auf den Balkon locken. Denn seitdem das besagte Überbleibsel vor wenigen Tagen in unserem Straßenzug aufgetaucht ist, lässt sich jede Nacht das gleiche anthropologisch-physikalische Phänomen beobachten: Die wechselseitige Anziehungskraft eines alten verkalkten Aquariums und volltrunkenen männlichen Berlinern. Und da beide Ecken meines Straßenabschnitts von Alt-Berliner Bierkneipen gesäumt werden, sorgt der spätnächtliche alkoholgeschwängerte Pendelverkehr zwischen diesen beiden Kneipen dafür, dass das eigentlich recht leblose Objekt seit seinem ersten Auftauchen ein erstaunlich lebhaftes Wanderverhalten an den Tag gelegt hat. Mittlerweile hat das fragile Unding bereits eine beträchtliche Distanz auf dem gegenüberliegenden Gehweg zurückgelegt.
Der junge Mann – nennen wir ihn Ronny – steht tief gebeugt schräg gegenüber meiner Wohnung. Bis auf ein deutlich sichtbares Schwanken unter voller Ausnutzung des dreidimensionalen Raums bewegt er sich aber keinen Zentimeter. Was wahlweise dem süßen Alkohol oder dem stattlich schweren Glasgebilde geschuldet sein mag, das er sich gleich einem gewaltigen Karton einfach übergestülpt hat. Wäre es nicht durchsichtig, der gute Ronny wäre zur Hälfte in diesem zerbrechlichen Wassertank verborgen geblieben. Doch so ist sein Vorgehen, das nur mit viel gutem Willen als Technik bezeichnet werden kann, in beschämender wie auch faszinierender Offenheit erkennbar: Der trübe Boden des Aquariums lastet auf Ronnys tief gebeugtem Rücken, während der arme Tölpel seine Stirn und die Oberseite seines Schädels in eine der Ecken gepresst hat, um den klobigen gläsernen Quader von innen in der Schwebe zu halten. Weddinger Yogalehrer nennen diese Position das Betrunkene Rindvieh.
Das Glas um Ronnys Gesicht herum ist längst großflächig beschlagen. Sein rot pulsierender, wutschnaubender Kopf leuchtet durch die Nacht wie das Apothekenschild an der Fassade nebenan. Alle fünf bis zehn Sekunden hebt er seinen schlaksigen Oberkörper unter lautem Schnaufen an, stemmt sich einen kleinen Schritt voraus, zieht unter Ächzen auch den zweiten Fuß hinterher, nur um sofort wieder unter dem Gewicht des massiven Monstrums zusammenzusacken.
Auf diese Weise mag der volltrunkene Ronny in
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