Alle meine Schwestern by Lennox Judith
Autor:Lennox, Judith
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-492-95339-9
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2014-11-07T05:00:00+00:00
9
EVA KEHRTE ZU GABRIEL ZURÜCK, weil sie nicht anders konnte. Sie brauchte ihn, seine Energie, seine Lebensfreude, das Lachen, das ihm so leicht über die Lippen kam.
Aber es hatte sich etwas verändert. Ihr Haß auf Nerissa war tiefschwarz und voll Eifersucht. Er trieb sie, Gabriel zu beobachten, argwöhnisch, wo und mit wem er zusammengewesen sein könnte. Seit Monaten hatte Gabriel nicht mehr gemalt, hatte er sie seit der Zeit vor Weihnachten nicht mehr gemalt. »Eine unfruchtbare Phase«, sagte er niedergeschlagen. »Jedesmal wenn mir das passiert, fürchte ich, daß es aus und vorbei ist und ich nie wieder malen werde.«
Im Juli half Eva Lydia Bowen beim Umzug in eine neue Wohnung. Sie strichen die Wände, hängten Vorhänge auf, schneiderten Sesselbezüge. Als die Inneneinrichtung fertig war, gab Lydia ganz spontan ein Einweihungsfest. Mit langstieligen Margeriten gefüllte Vasen und Gläser standen auf Tischen und Kaminsimsen. Licht strömte durch die hohen Bogenfenster. In den Zimmern drängten sich die Gäste, und das Knallen der Champagnerkorken bildete einen eigenen Rhythmus neben der Musik aus dem Grammophon.
Eva war mit Gabriel gekommen, aber irgendwie verlor sie ihn ständig im Gewühl. Eben noch war er an ihrer Seite, und im nächsten Moment, wenn sie sich nach einem kurzen Gespräch mit Freunden umsah, war er verschwunden. Sie hatte das Gefühl, unbedingt mit ihm zusammenbleiben zu müssen. Vertraute Gesichter hoben sich aus der Menge heraus: Kommilitonen und Dozenten von der Akademie, Lydias Freundinnen aus der Frauenbewegung, Künstler und Mäzene, die Eva in Lydias Galerie kennengelernt hatte.
Während sie sich mit Lydia und May Jackson unterhielt, verlor sie Gabriel wieder einmal aus den Augen. Sie entschuldigte sich und machte sich, sich durch die Grüppchen von Gästen hindurchschlängelnd, auf die Suche nach ihm. Am Ende entdeckte sie ihn am hintersten Ende des Flurs, im Gespräch mit einer jungen Frau. Sie war schlank und dunkel und trug einen knöchellangen smaragdgrünen Samtrock zum schwarzen Wollpullover. Ihre Füße waren nackt, und langes lockiges Haar fiel ihr frei von Nadeln und Bändern den Rücken herab. Wenn sie lachte, warf sie den Kopf in den Nacken und zeigte ihren langen, schlanken Hals.
Gegen Mitternacht begann die Gesellschaft sich aufzulösen. Lydias Freund, ein drahtiger, fremdländisch wirkender Mann, verabschiedete sich in der Küche von ihnen, wo Eva die Gläser spülte. »Gespräche mit Fabrice sind meistens todlangweilig«, bemerkte Lydia, nachdem sie ihn zur Tür gebracht hatte, »aber er tanzt wie ein Gott.«
»Hast du schon mal jemanden wirklich geliebt, Lydia?« fragte Eva.
»Nur einmal. Zigarette?«
»Ja, bitte.« Eva trocknete sich die Hände an einem Geschirrtuch. »Was war das für ein Mann?«
»Laurence?« Lydia lächelte wehmütig. »Er war groß und ziemlich dünn und hatte Augen wie schwarzer Kaffee. Ich glaube, wegen der Augen habe ich mich in ihn verliebt.«
»Aber du hast ihn nicht geheiratet?«
»Nein.« Lydia knipste ihr Feuerzeug an. »Diese prachtvollen Augen waren leider immer auf Wanderschaft. Laurence war ein Sammler, vor allem sammelte er hübsche junge Frauen. Er war verheiratet, als ich ihn kennenlernte. Er hat es mir allerdings nicht verheimlicht, das muß ich zugeben. Man könnte also sagen, ich wußte, was ich tat. Aber wann weiß man das schon?«
Das Schweigen, das folgte, war drückend.
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