Alisha, die sechste Stute by Christiane Gohl

Alisha, die sechste Stute by Christiane Gohl

Autor:Christiane Gohl [Gohl, Christiane]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Baumhaus
veröffentlicht: 2012-11-07T23:00:00+00:00


Nach wie vor teilte ich das Zelt meines Herrn Mohammed. Nur ein Vorhang aus kostbaren Teppichen trennte den Unterstand seiner Pferde von der Wohnung des Propheten. Das hatte seinen Sinn, denn so konnte von vorn niemand eindringen, um uns Pferde zu stehlen. Die Rückseite des Zeltes sicherte ein Wächter. In jener Nacht war es Mustafa, der Retter und zukünftige Ehemann der kleinen Sarah. Wir Pferde standen herum und dösten, wach gehalten von den Geräuschen, die aus der Wohnung des Propheten kamen. Das Mädchen, das sich Miriam nannte, schien nicht abgeneigt zu sein, meinen Herrn zu empfangen. Sie schmeichelte ihm und lachte, wenn er sie neckte, und der Geruch von Weihrauch und Essensdüften breitete sich aus. Unsere feinen Ohren vernahmen aber auch Geräusche von draußen: rennende Füße, keuchendes Atmen und ein geflüstertes »Schnell, lass mich ein!«.

»Wo ist der räudige Hund?« Laute Stimmen mischten sich in das Geflüster vor dem Zelt.

»Bei allen Göttern, Mustafa!«, flehte eine Stimme, und dann lüftete Mustafa tatsächlich ein wenig die Zeltplane, und ein keuchender, zitternder Ali fiel in den Sand zu meinen Füßen.

»Sch… Alisha, still, Kohaylah! Verratet mich nicht! Ruhig, Kasima, in Allahs Namen!«

Von draußen klangen ärgerliche Stimmen. »Ich sehe ihn nicht mehr. Er ist entwischt! Als habe er sich in ein Sandkorn verwandelt, dieser Sohn eines Schakals … Du, Pferdewächter, hast du einen Mann wegrennen sehen?« Die raue Stimme wandte sich an Mustafa.

»Ruhig, Omar, mein Freund, Allah liebt nicht die Lauten und Voreiligen. Erst müsst ihr mir sagen, warum ihr diesen Knaben jagt, der hier vorbeischoss wie der Fluch eines Dschinns.« Mustafa sprach ruhig und gelassen.

»Er kam also hier vorbei, so … da herunter, Hischan! Halt ihn auf, wenn du ihn siehst, der Kerl hat beim Würfeln betrogen!« Die Männer eilten weiter, und Ali, der immer noch zwischen meinen Hufen lag, wagte wieder zu atmen.

»Das war knapp«, flüsterte er lächelnd, stand auf und streichelte mein weiches Fell. »Ich danke dir für deinen Schutz, Alisha. Wenn du erlaubst, werde ich dir und deinen Freundinnen noch ein wenig Gesellschaft leisten, bis Kemals Zorn verraucht ist.«

Ali ließ sich an der Zeltwand nieder, und mit der Beruhigung seines Atems und seines Herzschlags kehrte auch sofort seine Frechheit zurück.

»Es riecht gut bei euch, Alisha. Sieht aus, als gäbe es ein gebratenes Zicklein an der Tafel des Propheten!« Ali schnupperte und lüftete ein wenig den Teppich, der das Stallzelt vom Wohnraum trennte. »Und nicht nur das. Auch das schönste der Mädchen teilt sein Lager. Und dabei predigt er, dass Allah die Entsagenden liebt …«

Von außen kratzte Mustafa aufgeregt an der Zeltwand. »Ali, komm heraus! Kemal und seine Leute sind weg, und wenn der Prophet uns erwischt, sind Stockschläge das Mindeste, was uns erwartet.«

»Gleich«, flüsterte Ali. »Nur noch einen Blick auf die Liebste des Erhabenen!«

Noch einmal hob er ein wenig den Teppich, um zu spähen, aber gleich danach riss er ihn ganz hoch. Ich meinte, mein Herz würde aufhören zu schlagen, als er schreiend in das Zelt des Propheten stürzte und ihm das Stück Fleisch aus der Hand riss, das er eben zum Munde führen wollte.



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