Alfred Adlers Sexualtheorien by Heinz L. Ansbacher
Autor:Heinz L. Ansbacher [Ansbacher, Heinz L.]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105616963
Herausgeber: FISCHER Digital
Kritik an Freudschen Begriffen
Psychologischer Hermaphroditismus, Bisexualität, Männlicher Protest
Freud (1905d) lehnte den Begriff »psychologischer Hermaphroditismus« ab und bevorzugte »Bisexualität«, um aufzuzeigen, daß das für das andere Geschlecht charakterisierte Verhalten eines Menschen konstitutionell bedingt ist. Bisexualität wurde sehr wichtig für die Freudsche Interpretation der Homosexualität, die er »Inversion« nannte: »… auch für die Inversion (kommt) eine bisexuelle Veranlagung in Betracht, nur daß wir nicht wissen, worin diese Anlage über die anatomische Gestaltung hinaus besteht« (S. 42). Und im allgemeinen fand Freud: »… ohne der Bisexualität Rechnung zu tragen, wird man kaum zum Verständnis der tatsächlich zu beobachtenden Sexualäußerungen von Mann und Weib gelangen können« (S. 121); »… die Anlage zu den Perversionen (ist) die ursprüngliche allgemeine Anlage des menschlichen Geschlechtstriebes« (S. 132).
Als Adler (1911i) den Begriff »psychologischer Hermaphroditismus« benutzte, wies er darauf hin: »Was die Bisexualität betrifft, so ist damit das Angeborene zweier Sexualregungen gegeben, eine Annahme, die der Ausdruck ›psychischer Hermaphroditismus‹ vermeidet« (S. 169). Aber Adler gab auch diesen Begriff auf, so wie Freud es tat, und Adler ersetzte ihn durch »männlicher Protest« (1910c). Adler (1911i) meinte, daß der männliche Protest aus dem psychologischen Hermaphroditismus entspringt (S. 169). Beim neurotischen Mann äußert sich der männliche Protest in dem Wunsch, »den richtigen Mann« hervorzukehren; bei der neurotischen Frau nimmt er die Form des Kampfes gegen die Vorstellung an, »nur eine Frau« zu sein. Mit anderen Worten, Neurotiker beiderlei Geschlechts kämpfen gegen die weibliche Seite in ihnen selbst, d.h., gegen die stereotype Vorstellung von Schwachheit und Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts – und streben nach dem männlichen Klischee von Macht und Überlegenheit. Paradoxerweise können beide Geschlechter dies mit männlichen oder weiblichen Mitteln tun. Das verstand Adler unter »psychologischem Hermaphroditismus«. Eine Frau kann sowohl durch die Betonung als auch durch die Verleugnung ihrer Weiblichkeit versuchen, sich durchzusetzen. Ebenfalls kann ein Mann versuchen, durch weibliche Mittel zum Ziel zu kommen. Adler beschrieb einen männlichen homosexuellen Patienten, der zu seiner Fähigkeit, Männer zu verführen, sagte: »Die Macht, die ich über Männer ausübe, erfüllt mich mit Wonneschauern« (1930d, S. 38). Männliche Homosexuelle halten sich von Frauen entfernt, aus Furcht, von ihnen beherrscht zu werden.
Man sollte vielleicht auch erwähnen, daß Adler (1933b) später über den somatischen Hermaphroditismus folgendes geäußert hat: »Es gibt wirkliche Hermaphroditen, bei denen tatsächlich die Entscheidung schwer wird, ob man es mit Mädchen oder Knaben zu tun hat. Man überläßt ihnen den Gebrauch, den sie von dem Hermaphroditismus machen wollen« (S. 124). Die Arbeit von Money hat gezeigt, daß das Ergebnis in solchen Fällen tatsächlich von menschlicher Entscheidung abhängt – meistens seitens der Eltern und nicht zuletzt auch vom betroffenen Individuum selbst. Im allgemeinen formen Hermaphroditen ihre geschlechtliche Identität in Übereinstimmung mit ihrer geschlechtlichen Zuordnung und ihrer Erziehung und bleiben dabei. Wo dies nicht der Fall ist, ist es auf die Unsicherheit bezüglich der geschlechtlichen Zuordnung zurückzuführen. Um Money und Ehrhardt (1972) zu zitieren: »Hermaphroditische Kinder, die im Laufe der Zeit beschließen, daß sie falsch zugeteilt wurden und eine Änderung verlangen, haben typisch eine Lebensgeschichte von Unsicherheit hinsichtlich ihrer sexuellen Zuweisung« (S. 153).
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