Agnes von Lilien by Wolzogen Caroline von

Agnes von Lilien by Wolzogen Caroline von

Autor:Wolzogen, Caroline von
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-03T00:00:00+00:00


Zweyter Theil

Während der Genesung von einer schweren Krankheit, ist das Gemüth zum stillen Hoffen und Dulden mehr als zum heftigen Verlangen gestimmt. Das Gefühl, eine freudenreiche lebenvolle Gegenwart nicht mit vollen Sinnen genießen zu können, beruhigt über einen freudenlosen Zustand.

Unser Gemüth ergreift Vergnügen und Schmerz mit gleicher Gewalt, und eben so stehen Sorge und Verlangen in gleichem Verhältniß. Auf diese Art ertrug ich meine höchstsonderbare Lage mit einer Ruhe, die mir in der vollen Thätigkeit meiner Gemüthskräfte unbegreiflich war.

Das gute wohlmeynende Wesen des Arztes, sein heller Blick, der mit offenbarem Vergnügen auf mir verweilte, gaben mir sogar Muth. Hätte mir dieser Mund ein Unglück zu verkündigen, er würde mir nicht so heiter zulächeln! sagte ich mir oft.

Nur die Unruhe um Charles verfolgte mich mit quälenden Bildern. Sein Verstummen nach dem Schuß, welchen ich an jenem unglücklichen Abend gehört, ließ mich oft seinen Tod befürchten.

Der Verlust eines so treuen Freundes war mir innig schmerzlich; und er war auch das einzige Band zwischen meiner Mutter und mir! Wo sollte ich die geliebte Stimme aufsuchen, die mir nur körperlos, wie ein Laut des Echo aus der Wildniß zutönte!

Als mich der Arzt den nächsten Tag besuchte, sagte er: Die Musik ist ein sehr wirksames Mittel, um den schwachen, verstimmten Nerven wieder Ton zu geben; ich habe eben in dem nächsten Dorfe zwei kleine Musikanten gefunden, zwei liebliche Knaben; ich nahm sie mit hierher, um Ihnen ein kleines Concert zu machen.

Er öfnete die Thür ins Nebenzimmer, und ich hörte ein liebliches Vorspiel einer Guitarre und Flöte. Es war dieselbe Melodie, welche Bettina in Nordheims Garten gespielt hatte.

Mein Busen wallte in sonderbaren anmuthigen Erwartungen; der Arzt beobachtete mich genau, winkte mir freundlich zu, und sagte lächelnd: O, ich bin der guten Wirkung dieses Mittels gewiß!

Die Alte setzte ihre Brille auf, und schüttelte den Kopf; so that sie zu allem, was sie nicht verstand. und wobey sie sich doch ein bedeutendes Ansehn geben wollte.

Jetzt tönte eine reine volle Stimme in die Saiten; ich erkannte Bettina. Meine Augen füllten sich mit süßen Thränen, und ein sanfter Schauer bebte durch meine Nerven. Der Arzt faßte meine Hand und sagte: Sie müssen den einen Knaben sehen, es ist ein so liebliches Kind! Komm herein, Kleiner! rief er; aber geh und sprich ja leise!

Ein Knabe trat schüchtern an die Thür. Er stand im Schatten, und ich erkannte die Gesichtszüge nicht. Nur näher! winkte der Arzt; und jetzt stand Bettina in Knabenkleidern mitten im Zimmer.

Sie sank auf ihre Knie, sah mich mit einem Blick an, in dem sich ihr ganzes Wesen aufzulösen strebte, und verbarg dann ihr Gesicht in ihre beiden Hände.

Der Arzt gebot ihr aufzustehen, zog sie zu sich, und sie stand jetzt dicht an meinem Bette.

Ich reichte ihr meine Hand, der sie einen heißen Kuß aufdrückte, und als sich ihr Haupt wieder erhob, flüsterte sie mir leise auf Italiänisch zu: Nordheim sendet mich zu dir, er ist nicht weit. Gott, was litten wir um dich!

Die Alte schob ihre Brille zurechte, hustete, fand das alles sehr sonderbar; doch wagte sie keine Bemerkung.



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