Aber Mutter weinet sehr by Wolfgang Brenner

Aber Mutter weinet sehr by Wolfgang Brenner

Autor:Wolfgang Brenner
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Random House DE


6

Marie wäre lieber ohne Robert zu Lore gegangen. Sie fürchtete, er könnte alles verderben.

Aber als sie Robert von der Einladung erzählte, wollte er mitkommen. Der Ärger wegen der Beschädigung des Wagens war verraucht.

»Die Bekanntschaft mit dieser Lore scheint dir gutzutun«, sagte er. Marie klang das zu gönnerhaft. Aber sie konnte Robert ja schlecht verbieten, am Sonntagnachmittag mitzukommen.

»Habt ihr euch denn schon richtig angefreundet?«

Was für eine Frage! Und was ging das Robert überhaupt an?

»Sie ist neu hier und kennt noch keinen Menschen. Außerdem hat sie einen Jungen, der in der Schule keinen Anschluss findet. Und da dachte ich, ich kann Lore etwas unterstützen. Natürlich auch, weil es mir leidtut, dass ich ihr durch den Unfall so viele Unannehmlichkeiten bereitet habe.«

Das ärgerte Robert wieder. »Und die Unannehmlichkeiten, die du mir bereitet hast? Lores Schaden zahlt die Versicherung. Unseren Schaden müssen wir selbst tragen.«

Diese Kleinlichkeit ging Marie immer mehr auf die Nerven. Sie blies die Backen auf und verdrehte die Augen. »Ich habe doch gesagt: Ich zahle das.«

»Musst du nicht. Ich will nur nicht, dass du glaubst, das ist eine Lappalie.«

»Tu ich ja nicht. Ich weiß, dass es schlimm ist. Aber fang nicht ständig davon an!«

»Wir gehen am Sonntag dahin – und vergessen diesen blöden Unfall. Okay?«

Wenigstens etwas.

»Wie alt ist der Junge?«, fragte er nach einer Weile. Marie spürte, dass Robert lauerte.

»Lores Junge? Ich glaube, elf oder zwölf Jahre.«

»Wie Johann.«

»Ja, wie Johann.«

Sie schwiegen. Die Luft im Zimmer schien schwerer geworden zu sein. Sie ließ sich nicht mehr gut atmen. Marie musste sich anstrengen.

»Ich habe ihr trotzdem nichts gesagt. Dass Johann entführt wurde und … Ich habe ihr gar nichts gesagt.« Marie atmete aus. »Sie weiß nicht, dass wir ein Kind haben … hatten.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nicht darüber reden will.«

Robert sagte nichts. Aber Marie spürte, dass er verstanden hatte. Er würde den Mund halten.

Lore hatte Marie die Adresse aufgeschrieben und umständlich erklärt, wie sie zu ihr gelangen konnte. Marie hatte sich alles geduldig angehört – obwohl sie den Weg ja kannte.

Auch Robert gegenüber, der ständig Probleme hatte, sich zu orientieren, tat Marie so, als würde sie sich in diesem Bezirk der Stadt nicht auskennen. Komischerweise parkte er den Wagen genau dort, wo sie ein paar Tage zuvor eine ganze Nacht gestanden hatte – hinter der Verkehrsinsel. Robert war in diesen Dingen penibel, beim Parken ging er immer auf Nummer sicher.

Marie hatte einen kurzen Rock, eine Seidenbluse und die hochhackigen Schuhe angezogen, die sie schon sehr lange nicht mehr getragen hatte. Auch Robert, der wenig auf seine Kleidung gab, trug ein Jackett und hatte seine Schuhe geputzt, was er selten tat.

Zusammen überquerten sie die Straße. Marie hatte einen selbst geschnittenen Strauß mit Margeriten dabei, Robert hatte eine Flasche Rotwein aus dem Keller geholt. Sie wirkten wie ein gut situiertes Ehepaar, das einen Sonntagnachmittagsbesuch bei einer befreundeten Familie macht. So sollte es ja auch sein.

Marie war sehr nervös. Aber sie gab sich alle Mühe, das vor Robert zu verbergen.

Als sie durch die Pforte traten, knickte Marie um. Es tat höllisch weh. Robert fasste sie unterm Arm. Es war das erste Mal seit einem Jahr.



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