Ab ins Netz ! by Reim Katja
Autor:Reim, Katja [Reim, Katja]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-Kösel Sach-/Fachbuch
veröffentlicht: 2017-03-09T09:28:15+00:00
Trotzdem lästert es sich online leichter als offline. Im Wohnzimmer kann die Kindergärtnerin nicht plötzlich vorbeikommen und zufällig hören, was über sie getratscht wird. »Im Internet ist man körperlich nicht aktiv, man nimmt sein Verhalten anders wahr«, erklärte Catarina Katzer, Sozialpsychologin und Expertin auf dem Gebiet des Cyberpsychologie-Verhaltens in einem Interview.51 »Die meisten Menschen wissen, dass man im Laden kein Buch klauen darf. Aber im Internet ist die Hemmschwelle für Straftaten niedriger. Das liegt einerseits daran, dass man im Netz anonymer ist. Andererseits sieht man die Konsequenzen seines Handelns nicht direkt.« Hätten die Mütter gewusst, dass ihre Worte die Kindergärtnerinnen erreichen würden, hätten sie diese sicher überdacht und sachlicher gewählt.
Dabei sind Mails so etwas wie die langsame Königsform der digitalen Kommunikation. Man beginnt sie mit einem klaren Ziel vor Augen, schreibt in einem Moment der relativen Ruhe, setzt den Empfänger ein, sucht nach einer Betreffzeile und liest den Text am Ende oft nochmal nach Fehlern gegen. Man nimmt sich Zeit für eine Mail. Viel rasanter dagegen ist der Austausch in Chats. Selbst wenn es nur zwei Empfänger gibt, gleicht die Kommunikation dort eher einem Gedanken-Ping-Pong. Auch dieser ist nur scheinbar privat.
In Rumänien führte ein solches Geplänkel 2007 zur Kündigung. Bogdan Mihai Bărbulescu arbeitete bei einem Energieunternehmen und hatte sich auf Anweisung der Firma einen Yahoo Messenger Account für Kundengespräche eingerichtet. Er nutzte die neue Technik – auch privat. Er chattete mit seiner Verlobten und seinem Bruder, tauschte sich mit ihnen auch über Themen wie Sex und Gesundheit aus. Die beiden störte das nicht – wohl aber den Arbeitgeber. Der las die Online-Kommunikation knapp zwei Wochen mit, ohne dass der Ingenieur es wusste. Erst danach wurde der Angestellte informiert. Als er erklärte, er habe den Rechner während der Arbeitszeit nur dienstlich genutzt, bekam er 45 Seiten seiner privaten Chat-Protokolle und kurz darauf die Kündigung vorgelegt. Bărbulescu sah seine Privatsphäre verletzt und klagte. Er zog bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Dabei berief er sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention, deren Artikel 8, Absatz 1, besagt: »Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.« Am 12.01.2016 entschied der Gerichtshof, dass der Arbeitgeber den Dienstrechner überwachen durfte, da er vorher dessen private Nutzung untersagt hatte.52 Der persönliche Bereich des Ingenieurs sei nicht verletzt worden, obwohl der Chef höchst pikante Details zu lesen bekam. Privates in digitalen Sphären ist also auch höchstrichterlich relativ.
Um meiner Tochter ein Grundgefühl dafür zu vermitteln, habe ich von Anfang an versucht, ihr klarzumachen, dass sie im Netz niemals allein sein wird. Selbst wenn sie einsam auf dem Sofa sitzt und tippt. Dabei hilft auch das Internet. Unter der Adresse internetlivestats.com kann sie in Echtzeit und sehr anschaulich sehen, wie viele E-Mails geschrieben, wie viele Tweets versendet, Bilder bei Instagram hochgeladen werden oder wie viele Nutzer bei Facebook angemeldet sind.
Außerdem haben wir beim Laptop und bei unseren Tablets die Kameras abgeklebt. Nicht, weil ich wirklich glaube, dass sich ein Hacker bei uns einklinkt und unsere Privatsphäre ausspioniert. Und wenn, hätte
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