AUCH WIR SIND RUSSLAND (German Edition) by SWETLANA GANNUSCHKINA & ALEXANDRA CAVELIUS

AUCH WIR SIND RUSSLAND (German Edition) by SWETLANA GANNUSCHKINA & ALEXANDRA CAVELIUS

Autor:SWETLANA GANNUSCHKINA & ALEXANDRA CAVELIUS [GANNUSCHKINA, SWETLANA]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Memorial, Todeslisten, Menschenrechte, Flüchtlinge, Tschetschenien
ISBN: 9783958900288
Herausgeber: Europa Verlag
veröffentlicht: 2015-11-30T23:00:00+00:00


Nowye Aldy im Zweiten Tschetschenienkrieg – nur ein Ort von vielen

Unsere Mitarbeiter scheuten keine Mühen, um zu erfahren, was im Zweiten Tschetschenienkrieg wirklich passierte. »Memorial« informierte dann in Berichten über die Situation im Nordkaukasus. Auch heute noch geben wir diese Berichte regelmäßig heraus. Meine Aufgabe war und ist es, die Situation der Flüchtlinge und die allgemeine Stimmung unter den Tschetschenen in Russland zu beschreiben. Trotzdem erscheint es mir wichtig, über ein schreckliches Ereignis zu berichten, das sehr gut die Zeit beschreibt, die wir unter dem Zeichen des Tschetschenienkrieges verbrachten. Wir haben den Krieg jede Stunde und jeden Tag gespürt. Er war uns immer sehr nahe. Und genau deswegen fiel es allen von uns immer schwerer, mit all den alten Freunden zu kommunizieren, für die »in Tschetschenien kein Krieg« herrschte.

Anfang Februar 2000 war die russische Armee immer tiefer in das Zentrum von Grosny vorgedrungen. Plötzlich hörten die Bombardierungen und das Artilleriefeuer auf. Bei der Bevölkerung kam Hoffnung auf, dass nun der ganze Schrecken endlich ein Ende habe.

Immer wieder habe ich von Tschetschenen gehört, dass man des Krieges müde sei und dass man, sollten die russischen Soldaten kommen, sie ohne irgendwelche Proteste empfangen werde. Das hätte man sicherlich auch getan, wenn sie friedlich gekommen wären. Das sind sie aber nicht.

Als die russischen Truppen nach Grosny vorrückten, mussten sie durch die Ortschaft Nowye Aldy hindurch. Und nach der Armee rückten Truppen des Innenministeriums in die Ortschaft ein.

Die Militärs sagten den Bewohnern: »Jetzt versteckt ihr euch besser. Diejenigen, die nach uns kommen, sind wie Tiere.« Doch die Menschen in Nowye Aldy wollten den Soldaten nicht glauben. Sie waren der Überzeugung, man habe das Schlimmste hinter sich. Am 5. Februar kam dann der ganze Schrecken erneut nach Nowye Aldy – und er ist immer noch in den Seelen der Menschen verhaftet. Die Männer in den Kampfuniformen waren sogar schlimmer als Tiere, sie töteten in dieser Ortschaft mehr als fünfzig Menschen. Im Anschluss an diese »Säuberungsaktion« raubten, plünderten und brandschatzten sie noch einige Tage.

Vier Tage nach diesen schrecklichen Ereignissen suchte Natalja Estemirowa die Ortschaft auf. Sie war in Begleitung von einigen unserer Kollegen. Sie filmten die Folgen dessen, was die Sonderpolizei OMON in dem Dorf angerichtet hatte. Dabei gingen sie auch ein hohes persönliches Risiko ein, denn nicht alle Angehörigen dieser Strafeinheiten hatten das Dorf verlassen. Doch dies waren nun mal die Verhältnisse unserer damaligen Arbeit in Tschetschenien.

Am 4. Februar 2010 lud »Memorial« zu einer Pressekonferenz ein. Thema: die »Säuberungsaktion« von Nowye Aldy. Hier zeigten wir auch den Film »Nowye Aldy – Schrecken ohne Verfallsdatum«. Hier konnte man Aufnahmen sehen, die vier Tage nach den schrecklichen Ereignissen gemacht worden sind. Die Leichen lagen noch in den Häusern und auf den Höfen. Es war auch zu erkennen, wie jemand in allernächster Nähe einen Lastwagen belud, während andere Häuser in Brand steckten.

Im Winter 2009 waren die Häuser wieder aufgebaut, doch der Schmerz beherrschte immer noch die Seelen, und die Mörder waren immer noch auf freiem Fuß.

Nachdem wir auf der Pressekonferenz den Film vorgeführt hatten, erteilten wir Madina Dombajewa das Wort.



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