5 Tage im April by Marzi Christoph

5 Tage im April by Marzi Christoph

Autor:Marzi, Christoph [Marzi, Christoph]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi, azw3
veröffentlicht: 2014-06-28T04:00:00+00:00


14.

Manchmal bedarf es nicht vieler Worte, um einen ins Nichts zu stoßen.

Die SMS bestand aus drei Worten. Sekunden später traf eine weitere SMS ein, noch kürzer als die erste. Sie bestand nur aus zwei Worten. Zwei Worte, die eigentlich nicht wichtig waren. Mary ist tot hieß es in der ersten SMS. Ruf an!, forderte mich die zweite auf. Parker hatte sie gesendet.

Mir wurde schwindlig und ich starrte das Display an und dann schloss ich die Augen und spürte den Wind im Gesicht. Ich wollte weinen, aber die Tränen verweigerten sich mir. Ich spürte, wie mein Herz raste. Der Schwindel wurde stärker. Ich öffnete die Augen wieder und alles sah aus, als hätte es die Farbe verloren. Der Hafen, die Möwen, die Wellen, das alles sah auf einmal so unwirklich aus.

Mom ist tot!

Der Gedanke schlug alle anderen Gedanken nieder, stärker, als Faustschläge es je tun könnten, hart, ohne Mitgefühl. Mary ist tot.

Ihr Name, ein Leben auf vier Buchstaben reduziert.

Ruf an!

Meine Hände zitterten. Meine Beine zitterten.

Ich rief Parker an und hörte seine Stimme in der Ferne Dinge sagen, die sich falsch anhörten. Dinge wie Komplikationen infolge eines Sauerstoffmangels im Gehirn und Herzversagen und Es tut mir so leid und Wir müssen jetzt stark sein und Wo bist du?.

Hätte er Pech gesagt, wäre ich ausgerastet. So war ich nur gelähmt. Ich hörte seine Stimme, die nicht versiegen wollte.

Ich habe lange mit dem Arzt gesprochen. Bla, bla. Sie haben alles versucht. Bla, bla. Es kam ganz plötzlich. Bla, bla. Es ist …

Ich legte auf und blieb auf den Hummerkisten sitzen, bis sich die Kälte in meine Kleidung verirrte und so schmerzte, dass ich mich bewegen musste. Die Luft, die ich atmete, war salzig wie die Tränen, die so widerspenstig waren und nicht fließen wollten.

Ich stand auf und lief los. Wie in Trance wanderte ich am Hafen entlang, raus zum Point, zu den Steinen, wo ich allein sein konnte. Hätte ich den Schlüssel zum Leuchtturm besessen, wäre ich dort untergetaucht.

Was sollte ich jetzt machen? Wie würde es weitergehen?

Ich hätte Parker erneut anrufen können, aber ich tat es nicht. Eine Beerdigung war zu planen. Wie machte man so was? War das meine Aufgabe? Würde Parker sich darum kümmern? Alles war ein riesiges Durcheinander. Ich hätte Sadie anrufen oder im Mama & Leenie’s vorbeischauen können, aber dazu fehlte mir der Mut. Ich hätte mit Nellie reden können, doch mir fehlten die Worte dazu. Eine kurze SMS an Steve, joggen, irgendwo sitzen, heulen, zurück nach Boston fahren. Was tut man, wenn einen Neuigkeiten wie diese erreichen? Woran hält man sich fest?

Ich dachte an den roten Walkman, den Aidan zertreten hatte, und der Drang, mich mit ihm zu prügeln, war auf einmal übermächtig. Das Buch, das im Zimmer unter dem Dach des Nellie’s Reach lag, Caretakers, Mom würde es nie wieder lesen. Der Brief an John Gilbert war jetzt so was wie ihr Vermächtnis. Die letzten Zeilen, die sie geschrieben hatte, waren an den Mann gerichtet, der sie einmal geliebt hatte. Den sie geliebt hatte. Bevor sie mit Carter Fallon durchgebrannt war.



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