33 Tage - Der letzte Sommer des alten Europa by Verlag Styria

33 Tage - Der letzte Sommer des alten Europa by Verlag Styria

Autor:Verlag Styria [Rostek, Marco]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Styria
veröffentlicht: 2014-07-12T16:00:00+00:00


SAMSTAG, 25. JULI

Tsarskoe Selo liegt circa 25 Kilometer südlich von St. Petersburg. Ursprünglich von finnischen Siedlern gegründet, ist Tsarskoe Selo ein beliebter Sommeraufenthaltsort für die Oberschicht St. Petersburgs. Rund um den Katharinenpalast und den Alexanderpalast sind im Laufe der Zeit unzählige Häuser und Höfe der oberen St. Petersburger Gesellschaft entstanden, die im Sommer ihrer Monarchenfamilie aufs Land folgen. Die Eisenbahnstrecke von St. Petersburg nach Tsarskoe Selo ist die erste in Russland und der ganze Stolz der Region. Unter normalen Umständen ist die Fahrt eine Wonne. Umgeben von fruchtbaren Feldern, malerischen Seen und unendlichen Wäldern dampft der Zug mitten durch eine der schönsten Regionen Russlands. Den Bahnhof hat man so geschickt inmitten des Palastensembles angelegt, dass der regierenden Herrscherfamilie jeweils nur eine minimale Anfahrtszeit vom Bahnhof in das gewünschte Schloss ermöglicht wird.

Diese Lage kommt nun auch Sergei Sasonow zugute, der im Banne der Ereignisse einen äußerst engen Zeitrahmen hat, um beim Zaren die Erlaubnis für eine Unterstützungszusage für Serbien einzuholen. Um 10:15 Uhr steigt er in Begleitung der Mitglieder des Ministerrates in St. Petersburg in den bereitgestellten Sonderzug, um fünfzig Minuten später bereits vor den Toren des Sommersitzes zu stehen. Die Vorbereitungen auf den Empfang prägen die gesamte Eisenbahnfahrt nach Tsarskoe Selo. Man wird sich beim Zaren kurz fassen müssen, denn der Zeitdruck lässt keine großen Diskussionen zu. Sasonow ist daher noch einmal während der Eisenbahnfahrt bemüht, die Minister auf die gemeinsame Linie einzuschwören und die unbedingt notwendige einstimmige Beurteilung der Lage zu betonen. Nur so könne man, davon sei er in seinem Innersten überzeugt, beim Zaren einen Entschluss für Serbiens Unterstützung herbeiführen. In Belgrad, auch das führt er auf das Eindringlichste aus, werde man sicherlich schon unter größter Anspannung auf eine Mitteilung warten.

Die letzten Minuten vor der Ankunft zieht er sich zurück, um sich persönlich auf den Zaren einzustimmen. Schließlich wird es an ihm liegen, wie die Inhalte aufgenommen werden, denn als Vorsitzender des Ministerrates wird er die Ehre des Vortrags haben. So sehr er sich im Zug auch bemüht, eine Erfolg versprechende Gesprächsstrategie zu entwickeln, kann er sich doch in seinen Überlegungen auf keine Vorgehensweise festlegen. In jeder möglichen Variante der Gesprächsführung macht er Schwächen und Ungewissheiten aus, deren Überwindung er sich am heutigen Tage nicht zutraut. Mit sich ringend muss er sich schließlich eingestehen, dass er auf seinen Instinkt und das nötige Glück zu vertrauen hat.

Wortlos und hoch konzentriert marschiert man vom Bahnhof eilig in den Alexanderpalast. Auch entlang der endlosen Gänge im Palast spricht niemand, von den kahlen Wänden hallen nur die hastigen Schritte der Männer wider. Ohne Aufenthalt werden die Besucher in den großen und prunkvollen Empfangssaal des Schlosses eingelassen, wo man, noch immer schweigend, die Ankunft des Zaren erwartet. Noch einmal geht Sasonow jetzt zu seinen Begleitern und nickt allen aufmunternd zu, legt seine Hände auf Schultern oder drückt die eine oder andere Hand. Die Stimmung ist feierlich und Sasonow kann bisweilen sogar einen kämpferischen Ausdruck in den Augen seiner Kollegen ausmachen. Besonders der Kriegs- und der Marineminister sind, nachdem Sasonow auch bei ihnen kurz verweilt hat, von einer positiven Grundstimmung beseelt.



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