31 - Kurz vor Mitternacht by Agatha Christie
Autor:Agatha Christie [Christie, Agatha]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-04-02T20:21:51+00:00
23
Um Viertel vor sieben begann es zu regnen.
Nevile beobachtete die ersten Regentropfen vom Fenster seines Schlafzimmers aus.
Er hatte mit Kay nicht mehr gesprochen. Nach dem Tee waren sie einander aus dem Weg gegangen.
Das Abendessen gestaltete sich nicht besonders erquicklich. Nevile wirkte geistesabwesend; Kays Gesicht zeigte ein für sie ungewöhnlich starkes Make-up; Audrey saß da wie ein erstarrtes Gespenst.
Mary tat ihr Bestes, um ein Gespräch in Gang zu bringen, und sie ärgerte sich ein wenig, weil Thomas ihr überhaupt nicht beistand.
Als das Mahl sich seinem Ende näherte, sagte Nevile mit betonter Gleichgültigkeit:
«Ich glaube, ich geh nachher mal zum Easterhead hinüber und schaue nach Latimer. Wir könnten etwas Billard spielen.»
«Nimm den Hausschlüssel mit», mahnte Mary. «Falls du spät heimkommst.»
«Danke, das werde ich tun.»
Sie begaben sich ins Wohnzimmer.
Kay, die seit dem Essen unaufhörlich gähnte, erklärte schon ziemlich bald, sie wolle zu Bett gehen. Sie habe Kopfschmerzen, sagte sie.
«Hast du Aspirin?», fragte Mary.
«Ja, danke.»
Kay verließ das Zimmer.
Nevile drehte am Radio, bis er ein Musikprogramm erwischt hatte. Eine Zeit lang saß er still auf dem Sofa. Kein einziges Mal blickte er Audrey an; er sah aus wie ein unglücklicher kleiner Junge. Gegen ihren Willen empfand Mary Mitleid mit ihm.
«Also», sagte er schließlich und erhob sich. «Dann werde ich jetzt mal hinüberpilgern.»
«Nimmst du deinen Wagen oder die Fähre?»
«Die Fähre. Es hat keinen Sinn, die fünfundzwanzig Kilometer herumzufahren. Es tut mir ganz gut, ein bisschen zu laufen.»
«Es regnet aber.»
«Ich weiß. Mein Mantel ist wasserdicht.»
Er ging zur Tür. «Gute Nacht.»
In der Halle kam ihm Hurstall entgegen.
«Würden Sie wohl so gut sein und zu Lady Tressilian hinaufgehen, Mr Strange? Sie möchte gern mit Ihnen sprechen.»
Nevile schaute auf die Uhr. Es war schon zehn.
Er zuckte die Schultern und ging hinauf. Während er nach dem Anklopfen auf die Aufforderung zum Eintreten wartete, hörte er die Stimmen der andern in der Halle unten. Offenbar gingen alle zeitig schlafen.
«Herein», ertönte Lady Tressilians helle Stimme.
Nevile trat ein und schloss die Tür hinter sich.
Lady Tressilian hatte sich bereits für die Nachtruhe vorbereitet. Alle Lichter waren ausgeschaltet außer der Leselampe am Bett. Sie hatte gelesen, doch legte sie jetzt das Buch fort. Über den Brillenrand hinweg blickte sie Nevile an.
«Ich möchte mit dir sprechen, Nevile», sagte sie.
Nevile lächelte.
«Zu Befehl, Majestät.»
Lady Tressilian lächelte nicht.
«Es gibt gewisse Dinge, Nevile, die ich in meinem Hause nicht dulde. Ich hege keineswegs den Wunsch, anderer Leute Gespräche mit anzuhören, aber wenn du mit deiner Frau gerade unter meinem Schlafzimmerfenster einen lauten Wortwechsel führst, so kann ich nicht umhin, euer Geschrei zu hören. Daher weiß ich, dass du dich mit der Absicht trägst, Kay zu verlassen und Audrey wieder zu heiraten. Das ist einfach unmöglich, Nevile, und ich will davon nichts wissen.»
Nevile schien nur mit Mühe die Selbstbeherrschung zu bewahren.
«Ich bitte um Entschuldigung wegen der Szene», sagte er kurz angebunden. «Was das Übrige betrifft, so ist es ganz entschieden meine eigene Angelegenheit.»
«O nein. Du hast meine Gastfreundschaft benutzt, um mit Audrey zusammenzutreffen, oder aber Audrey hat sie sich zu Nutze gemacht…»
«Sie hat nichts dergleichen getan. Sie…»
Lady Tressilian gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen.
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