1793 - Das Jahr des Schreckens by Victor Hugo

1793 - Das Jahr des Schreckens by Victor Hugo

Autor:Victor Hugo [Hugo, Victor]
Die sprache: eng
Format: epub
Tags: Historischer Roman
Herausgeber: MOST Publishing


II. Dol

Dol, wie in den alten Urkunden geschrieben steht, eine spanische Stadt Frankreichs in der Bretagne, ist keine Stadt, nur eine Straße, eine lange, alte, gothische Straße, sehr breit, mit zwei unregelmäßigen Reihen von säulengetragenen vorspringenden oder zurücktretenden Häusern. Die übrige Stadt ist weiter nichts als ein Netz von Gäßchen, die mit der großen durchlaufenden Straße in Verbindung stehen und hineinmünden wie Bäche in einen Fluß. Ohne Thor noch Mauern, vom Mont-Dol überragt, konnte die offene Stadt keine Belagerung aushalten, wohl aber die Straße, denn die vorspringenden Häuser, die vor fünfzig Jahren noch zu sehen waren, und die zwei auf Säulen ruhenden Galerien zu beiden Seiten boten sehr günstige, widerstandsfähige Vertheidigungslinien. Jedes Haus war eine Festung, die gestürmt werden mußte, zumal die alte Markthalle, die ungefähr in der Mitte der Straße stand.

Der Wirth von La Croix-Branchard hatte Recht gehabt: im Augenblick, wo er sprach, wälzte sich durch Dol ein wüthendes Handgemenge, ein plötzlich über die Stadt hereingebrochener Zweikampf zwischen den Morgens angekommenen Weißen und den Abends eingetroffenen Blauen. Die Kräfte waren ungleich, denn die Weißen zählten sechstausend, die Blauen blos fünfzehnhundert Mann; gleich war jedoch die Erbitterung der Gegner. Merkwürdigerweise waren es die Fünfzehnhundert, welche die Sechstausend angegriffen hatten.

Auf der einen Seite ein Gewühl, auf der anderen eine Phalanx. Hier sechstausend Bauern mit Herzen Jesu auf den Lederjacken, weißen Bändern an den runden Hüten, christlichen Denksprüchen auf den Armbinden, Rosenkränzen am Gürtel, mit mehr Heugabeln als Säbeln und mit Stutzen ohne Bajonett, mit Kanonen, die sie selber an Seilen mit sich zogen, mit schlechter Montur, schlechter Disziplin, schlechten Waffen, aber voller Tollwuth. Dort fünfzehnhundert Soldaten mit Trikolorekokarden an den dreieckigen Hüten, in langen Röcken mit hohen Aufschlägen am gekreuzten Wehrgehänge, den kurzen Säbel mit Messinggriff und am Gewehr das lange Bajonett führend, eingeschult, in Reih und Glied, lenksam und unbändig, Leute, die zu gehorchen wissen, wie sie auch befehlen könnten, Freiwillige wie die Gegner, aber Freiwillige für das Vaterland, im Uebrigen zerfetzt und ohne Schuhe. Auf Seite der Monarchie mittelalterlich ritterliche Bauern, auf Seite der Revolution barfuß kämpfende Helden; beide Schaaren beseelt von ihrem Führer, die Royalisten von einem Greis, die Republikaner von einem Jüngling. Hie Lantenac, hie Gauvain.

Die Revolution hat neben ihren gigantischen auch ihre idealen männlich jugendlichen Gestalten, neben Danton, Saint-Just und Robespierre einen Hoche und Marceau. Eine solche Gestalt war auch Gauvain. Er war dreißig Jahre alt, hatte die Figur eines Herkules, den schwärmerisch feierlichen Blick eines Propheten und konnte lachen wie ein Kind. Er rauchte nicht, trank nicht, fluchte nicht, führte mitten im Krieg ein Toilettenkästchen mit sich, pflegte sorgfältig seine Nägel, seine Zähne und sein prachtvolles braunes Haar und schüttelte, wenn er Halt kommandirt hatte, seinen bestaubten, von Kugeln durchlöcherten Hauptmannsrock selber aus. Trotzdem er sich immer tollkühn ins Handgemenge stürzte, war er nie verwundet worden. Seine sehr sanfte Stimme brach, wenn es Noth that, in ein ungestüm gebieterisches Schmettern aus. Wo es auf bloßer Erde zu übernachten galt, unter Sturmwind, Regen oder Schneegestöber, ging immer er mit dem guten Beispiel voran und legte sich in den Mantel gewickelt nieder, mit einem Stein als Kissen für sein anmuthiges Haupt.



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